„Blockadewetter wird häufiger“
Künftig wird es mehr lange Hitzeperioden geben. Die Überzugsbewegung der Wetterlagen wird langsamer. Was können wir beeinflussen?
Tobias Geiger ist Wissenschafter am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Im SN-Gespräch erläutert der Experte, was beim Klimawandel bereits unumkehrbar ist und was wir noch beeinflussen können.
SN: Wir haben heuer im Sommer besonders stark erlebt, wie sich die Klimazonen verschieben. Warum kann man nicht einfach sagen: Gut, dann bauen wir eben den Wein in Norddeutschland an statt in Süditalien?
Geiger: Das wäre eine sehr kurzfristige und regionalspezifische Denkweise. Der Klimawandel muss aber als globales Phänomen verstanden werden. Denken Sie nur an die Migration, die damit zusammenhängt. Wenn Süditalien zur Wüste wird, will dort niemand mehr leben. Dann liegt Italien in Mitteleuropa. Welche extremen Folgen das hätte, erleben wir derzeit in Syrien. Dort hat es 2005 bis 2009 eine extreme Dürre gegeben, wie sie in der Geschichte dieses Landes noch nie aufgetreten ist. Viele Leute in den ländlichen Regionen, die Subsistenzwirtschaft betrieben haben, haben ihre Ernte verloren. Nicht über ein Jahr, sondern über mehrere Jahre. Sie konnten ihr Vieh nicht mehr ernähren, haben damit ihre Existenz verloren und sind in die Städte gezogen. Dadurch kam es zu einer extremen Knappheit auch an Lebensmitteln. Die Brotpreise sind explodiert.
Das alles hat wesentlich zu den kriegerischen Konflikten beigetragen, die wir heute in Syrien erleben. Die unmittelbare Folge waren die Flüchtlingsbewegung und die Migration, gegen die sich Europa mittlerweile mit allen Mitteln abzuschotten versucht.
SN: Was sind die Szenarien für die nächsten ein, zwei Dekaden?
Was in dem Zeitraum bis zwei Dekaden passiert, haben wir bereits verursacht. Unsere Emissionen von heute haben ihre maximale Wirkung etwa zehn Jahre später. Selbst wenn wir also die Emissionen jetzt völlig stoppen könnten, würden wir den Klimawandel trotzdem weiter spüren. Die Szenarien sind, dass wir eine Zunahme von Extremereignissen in Mitteleuropa erwarten, z. B. Hitzeextreme wie heuer oder auch Feuchtextreme. Diese kommen durch eine atmosphärische Blockade zustande, wie wir es heuer erlebt haben. Das heißt, dass ein Hochdruckgebiet wochenlang quasi auf derselben Stelle steht, was zu Hitzewellen und Dürren führen kann. Solche Klimaextreme werden in Europa häufiger werden.
SN: Warum halten sich solche Extreme wochenlang?
Wie schnell Hoch- oder auch Tiefdruckgebiete über uns hinwegziehen, hängt stark mit dem Klima allgemein zusammen. Durch den Klimawandel erwärmt sich die Arktis viel schneller als der Äquator. Dadurch haben wir einen geringeren Temperaturunterschied zwischen Äquator und Arktis. Dieser Temperaturunterschied ist aber im Normalfall der Treiber für die Überzugsbewegung der Wetterlagen. Je kleiner der Temperaturunterschied ist, desto größer ist das Risiko, dass Hoch- oder Tiefdruckgebiete langsamer ziehen. Dadurch kommt es häufiger zu Blockadesituationen, bei denen eine Wetterlage wochenlang über Zentraleuropa steht. Die Folge sind Hitzewellen oder umgekehrt lange Regenperioden, die zu Hochwasser und Überflutungen führen.
SN: Was ist bereits unumkehrbar und wo könnten wir noch eingreifen?
Unumkehrbar ist, dass wir den Anstieg des Meeresspiegels erleben werden. Bereits losgetreten ist, dass viele Gletscher abschmelzen, selbst wenn wir die Klimaerwärmung ad hoc stoppen könnten. Bei kurzfristigen Prozessen, die zu Extremereignissen führen, haben wir den Hebel noch eher in der Hand.
SN: Einen Extremsommer wie heuer könnten wir noch beeinflussen?
Wenn wir die Erderwärmung bei 1,5 Grad stoppen, wie im Pariser Klimaabkommen vereinbart, werden wir trotzdem mehr Extremsommer wie heuer erleben. Aber es wird, sofern das ein Trost ist, wahrscheinlich nicht viel schlimmer werden. Was wir im 21. Jahrhundert nicht mehr schaffen werden ist, dass wir das Rad der Erderwärmung um 100 Jahre zurückdrehen.