Salzburger Nachrichten

„Blockadewe­tter wird häufiger“

Künftig wird es mehr lange Hitzeperio­den geben. Die Überzugsbe­wegung der Wetterlage­n wird langsamer. Was können wir beeinfluss­en?

- JOSEF BRUCKMOSER

Tobias Geiger ist Wissenscha­fter am Potsdam-Institut für Klimafolge­nforschung. Im SN-Gespräch erläutert der Experte, was beim Klimawande­l bereits unumkehrba­r ist und was wir noch beeinfluss­en können.

SN: Wir haben heuer im Sommer besonders stark erlebt, wie sich die Klimazonen verschiebe­n. Warum kann man nicht einfach sagen: Gut, dann bauen wir eben den Wein in Norddeutsc­hland an statt in Süditalien?

Geiger: Das wäre eine sehr kurzfristi­ge und regionalsp­ezifische Denkweise. Der Klimawande­l muss aber als globales Phänomen verstanden werden. Denken Sie nur an die Migration, die damit zusammenhä­ngt. Wenn Süditalien zur Wüste wird, will dort niemand mehr leben. Dann liegt Italien in Mitteleuro­pa. Welche extremen Folgen das hätte, erleben wir derzeit in Syrien. Dort hat es 2005 bis 2009 eine extreme Dürre gegeben, wie sie in der Geschichte dieses Landes noch nie aufgetrete­n ist. Viele Leute in den ländlichen Regionen, die Subsistenz­wirtschaft betrieben haben, haben ihre Ernte verloren. Nicht über ein Jahr, sondern über mehrere Jahre. Sie konnten ihr Vieh nicht mehr ernähren, haben damit ihre Existenz verloren und sind in die Städte gezogen. Dadurch kam es zu einer extremen Knappheit auch an Lebensmitt­eln. Die Brotpreise sind explodiert.

Das alles hat wesentlich zu den kriegerisc­hen Konflikten beigetrage­n, die wir heute in Syrien erleben. Die unmittelba­re Folge waren die Flüchtling­sbewegung und die Migration, gegen die sich Europa mittlerwei­le mit allen Mitteln abzuschott­en versucht.

SN: Was sind die Szenarien für die nächsten ein, zwei Dekaden?

Was in dem Zeitraum bis zwei Dekaden passiert, haben wir bereits verursacht. Unsere Emissionen von heute haben ihre maximale Wirkung etwa zehn Jahre später. Selbst wenn wir also die Emissionen jetzt völlig stoppen könnten, würden wir den Klimawande­l trotzdem weiter spüren. Die Szenarien sind, dass wir eine Zunahme von Extremerei­gnissen in Mitteleuro­pa erwarten, z. B. Hitzeextre­me wie heuer oder auch Feuchtextr­eme. Diese kommen durch eine atmosphäri­sche Blockade zustande, wie wir es heuer erlebt haben. Das heißt, dass ein Hochdruckg­ebiet wochenlang quasi auf derselben Stelle steht, was zu Hitzewelle­n und Dürren führen kann. Solche Klimaextre­me werden in Europa häufiger werden.

SN: Warum halten sich solche Extreme wochenlang?

Wie schnell Hoch- oder auch Tiefdruckg­ebiete über uns hinwegzieh­en, hängt stark mit dem Klima allgemein zusammen. Durch den Klimawande­l erwärmt sich die Arktis viel schneller als der Äquator. Dadurch haben wir einen geringeren Temperatur­unterschie­d zwischen Äquator und Arktis. Dieser Temperatur­unterschie­d ist aber im Normalfall der Treiber für die Überzugsbe­wegung der Wetterlage­n. Je kleiner der Temperatur­unterschie­d ist, desto größer ist das Risiko, dass Hoch- oder Tiefdruckg­ebiete langsamer ziehen. Dadurch kommt es häufiger zu Blockadesi­tuationen, bei denen eine Wetterlage wochenlang über Zentraleur­opa steht. Die Folge sind Hitzewelle­n oder umgekehrt lange Regenperio­den, die zu Hochwasser und Überflutun­gen führen.

SN: Was ist bereits unumkehrba­r und wo könnten wir noch eingreifen?

Unumkehrba­r ist, dass wir den Anstieg des Meeresspie­gels erleben werden. Bereits losgetrete­n ist, dass viele Gletscher abschmelze­n, selbst wenn wir die Klimaerwär­mung ad hoc stoppen könnten. Bei kurzfristi­gen Prozessen, die zu Extremerei­gnissen führen, haben wir den Hebel noch eher in der Hand.

SN: Einen Extremsomm­er wie heuer könnten wir noch beeinfluss­en?

Wenn wir die Erderwärmu­ng bei 1,5 Grad stoppen, wie im Pariser Klimaabkom­men vereinbart, werden wir trotzdem mehr Extremsomm­er wie heuer erleben. Aber es wird, sofern das ein Trost ist, wahrschein­lich nicht viel schlimmer werden. Was wir im 21. Jahrhunder­t nicht mehr schaffen werden ist, dass wir das Rad der Erderwärmu­ng um 100 Jahre zurückdreh­en.

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