Luzern macht blau
Vom See bis zum Sternenhimmel. Im Herzen der Schweiz lassen sich jetzt im Herbst die erholsamen Momente finden.
Blau schwebt in die Höhe und zieht in die Tiefe. Es macht weit und heiter und ruht dennoch in sich. Die Geschichte erzählt, dass Blau ab dem 18. Jahrhundert zur Lieblingsfarbe der Europäer wurde. Sie sehen in ihr das Symbol für Fortschritt, für Lichter, Träume und freiheitliche Gedanken. Joan Miró war ein Poet mit Pinsel, der mit Symbolen spielte. In Luzern, in der Sammlung der Kunstliebhaberin Angela Rosengart, hängt das Bild „Danseuse“, das der katalanische Maler 1925 schuf. In perfektem Gleichgewicht schwingt sich die Tänzerin, von der nur ein zierliches Bein, ein Arm, ein großes Herz und ein mondrunder Kopf zu sehen sind, in eine ultramarinblaue Ferne. Sternengleich wirbeln neben ihr ihre Fußspuren davon. Das Bild gehört zu Angela Rosengarts Lieblingsstücken. Mehr als 200 Gemälde umfasst ihre Kollektion mit Werken der Klassischen Moderne. Für Angela Rosengart sind sie wie Kinder, und Besuchern, die das Glück haben, von ihr persönlich durch die Ausstellung geführt zu werden, kann sie zu jedem Ölgemälde und Aquarell, zu jeder Zeichnung, ein kleines Bild aus Worten dazumalen: „Mein erstes Bild hat mir, als ich 16 Jahre alt war, Paul Klee für 50 Franken verkauft“, sagt sie und schmunzelt dabei, „er hat mich damals gefragt, ob ich bereit wäre, einen Monat lang dafür zu arbeiten. Ich habe Ja gesagt und als ich die 50 Franken beisammenhatte, hat er mir das Bild dafür gegeben.“Mit Pablo Picasso, der sie fünf Mal porträtierte, verband sie Freundschaft. Noch heute erinnert sie sich an den alles durchdringenden Blick aus dunklen Augen, an seinen schwierigen Charakter, aber auch an seinen Charme.
Angela Rosengart hat ihre angesehene Sammlung in eine Stiftung eingebracht und damit der Stadt zusätzlich zum Luzern Festival der klassischen Musik einen kulturellen Lichtpunkt beschert. Luzern benannte als Dank dafür einen hübschen Winkel nahe der Kapellbrücke in Rosengartplatz um. Solche Örtchen, bestückt mit Bänken und Bäumen, mit Brunnen, aus denen Trinkwasser plätschert, machen die Stadt, die sich im Vierwaldstättersee spiegelt, schon beim ersten Rundgang gemütlich und liebenswert.
Luzern ist aber nicht allein auf seiner Geschichte sitzen geblieben. Die Stadt hat immer neugierig Handel betrieben, moderne Architekten hereingelassen, sie hat durch Ausbildungszentren junge Menschen angezogen. Die Luzerner scheinen eine Balance gefunden zu haben, die die alten Mauern lebendig macht und den Gast gleich in frohe Stimmung versetzt.
Touristen aus aller Welt wollen sich hier wohlfühlen und so kommen auf rund 81.000 Einwohner in der Altstadt und dem näheren Umkreis jedes Jahr 9,4 Millionen Besucher hauptsächlich aus den USA, aus Asien, den Golfstaaten, aus Großbritannien und Deutschland. Was die Uhren- und Schmuckhändler, die Stadtkämmerer und die Tourismusbranche freut, macht manchen Bewohnern Kopfzerbrechen. Wie derzeit fast überall in schönen historischen Städten wird auch in Luzern über Lenkungsmaßnahmen vor allem des Bustourismus diskutiert. Gäste zu haben ist schön, sie machen die Stadt bunt, doch ab und zu „sind es einfach zu vieli Lüt“, wie ein Luzerner es mit einem Stoßseufzer zusammenfasst. Wenn er am Samstag am Wochenmarkt nicht mehr von Stand zu Stand schlendern kann, dann hört sich für ihn der Spaß auf.
Die Besucher möchten gern das sehen, wofür diese Stadt im Herzen der Schweiz bekannt ist: den Wasserturm aus dem 14. Jahrhundert, vor allem aber die hölzerne Kapellbrücke, die die Ufer der Reuss verbindet und früher Teil der Stadtbefestigung war. Ihre Ursprünge werden auch für das 14. Jahrhundert angenommen, doch vom Original ist kaum etwas übrig geblieben. Die Brücke musste mehrmals erneuert und nach Großbränden 1833 und 1993 umgebaut und rekonstruiert werden. Von den dort montierten Bildtafeln aus dem 17. Jahrhundert sind wenige vom Feuer verschont geblieben. „Durch die Zeit wird viel vermehret, vieles aber auch verzehret“, steht auf einer Tafel pragmatisch vermerkt.
Verzehr ist jetzt ein gutes Stichwort. Das Bummeln macht Appetit. Die Auswahl ist groß: Italienische oder französische Küche, türkischer Imbiss, Deftiges im „Stadtkeller“, Vegetarisches am Bahnhof mit Blick auf die Züge, raffiniert Leichtes im „Wilden Mann“, wo einst die Patrizier der Stadt zusammenkamen und heute noch für Luzerner Bürger ein Stammtisch steht. Zum Dessert gibt es Schokolade. Ohne sie ist die Schweiz kaum denkbar. Junge Chocolatiers lassen sich aber von Klischees nicht beeindrucken und rühren im Metier um. Zu ihnen gehören die Schokoladenmacher von „Max Chocolatier“, die etwa auf Edelkakaobohnen aus Madagaskar setzen. Bei Daniel Huber und seinen Kollegen kann der Urlauber in einem Schnellkurs lernen, wie Pralinen gemacht, Füllungen kreiert, Nüsse geröstet und Tafeln gegossen werden. „Eine Praline braucht vier Tage“, sagt er, „am Montag fangen wir mit den Füllungen für die jeweils zwölf Sorten an.“Eine selbst fabrizierte Tafel kann man mitnehmen und sich in dem Gefühl sonnen, dass es bis zur Meisterschaft gar nicht mehr so weit sein kann.
Die echte Sonne hat inzwischen den Himmel azurblau gefärbt und das Wasser des Sees türkisgrün. Eine Promenade am Ufer führt zu den Piers der Dampfschiffflotte. „Die „DS Unterwalden“, 1902 auf erster Fahrt und 2011 wieder auf Hochglanz gebracht, lässt ihr Horn über den See schallen. Angetrieben wird sie wie ehedem von einer Escher-Wyss-Maschine, die immer noch wie ein Uhrwerk funktioniert. Der Bordingenieur betreut sie sorgsam mit Ölkannen und Fetzen. Die „Unterwalden“steuert als einziges Dampfschiff Alpnachstad an, denn sie kann eine auf der Route liegende Brücke unterfahren, indem sie Schlot, Masten und das Steuerhaus absenkt.
An der Endstation wartet die nächste Ingenieurleistung: die steilste Zahnradbahn der Welt, die seit 1889 Ausflügler auf den 2132 Meter hohen Pilatus transportiert. Wie rote Käferchen krabbeln die Kabinen über 48 Prozent Steigung durch den Wald und entlang der Felsen die 4618 Meter lange Strecke hinauf. Der Dampf ist längst dem Strom gewichen. Oben wandelt sich die leicht mulmige Gemütslage in Staunen über die Fernsicht zu den eisblauen Gipfeln der Region um. Im denkmalgeschützten SterneBerghotel Pilatus-Kulm, dessen Ursprünge in der Belle Époque liegen, ist das Übernachten möglich. Ein Drache soll auch auf dem Pilatus hausen, aber an diesem Abend zeigt sich nur Jos Kohn. Als sich Finsternis und Stille über die Terrasse senken, justiert er – Physiker mit Leidenschaft für die Astronomie – sein Teleskop.
Wie eine Kuppel aus nachtblauem Samt wölbt sich der Himmel, auf dem jetzt helle Funkelpunkte leuchten. Jos erklärt die Sternbilder, zeigt die Milchstraße, ein Satellit wandert auf seiner Bahn. Mit 250-facher Vergrößerung gelingt der Blick hinaus ins unendliche Universum. Der Saturn mit seinen Ringen ist zu sehen, ein Sternenhaufen, der Andromedanebel – und schließlich der Mars. Er sieht aus wie ein runder, schmackhafter Schweizer Käse.