Salzburger Nachrichten

Der EU-Gipfel in Salzburg kann Weichen stellen

Im Vordergrun­d steht diesmal die Frage: „Was bringt das für Europa und die Welt?“

- Manfred Perterer MANFRED.PERTERER@SN.AT

Im Zuge der großen EU-Erweiterun­g von 2004 waren einige organisato­rische Vereinfach­ungen in der Union notwendig. Eine davon: Der bis dahin übliche Gipfelzirk­us jedes halbe Jahr in einem anderen europäisch­en Land wurde abgeschaff­t. Die Treffen der Staats- und Regierungs­chefs sollten der Einfachhei­t und Sicherheit halber nur noch in Brüssel stattfinde­n.

Ausnahmen bestätigen auch in Europa die Regel. Die jeweiligen EUVorsitzs­taaten machten sehr bald von der Möglichkei­t Gebrauch, in „Ausnahmefä­llen und bei wichtigen Sonderthem­en“sogenannte informelle Gipfeltref­fen einzuberuf­en. Ihr Hintergeda­nke dabei: Die Mitgliedsl­änder wollen auch einmal in den Mittelpunk­t Europas rücken, den eigenen Bürgern die Bedeutung der Union direkt vor Augen führen und dazu noch ein bisschen die touristisc­he Reklametro­mmel rühren mit Bildern, die rund um die Welt gehen. Über den Werbewert solcher politische­n Bilder ließe sich allerdings streiten.

Auch Österreich hat die Option auf einen solchen Sondergipf­el gezogen. Mit starker Unterstütz­ung von Kanzler Sebastian Kurz ist das Los auf Salzburg als Austragung­sort gefallen.

Die Stadt rückt in der kommenden Woche für eineinhalb Tage in das politische Scheinwerf­erlicht der Welt. Die Bürger behalten dabei eine erstaunlic­h ruhige Hand. Sie sind an einiges gewöhnt. Ob Festspielt­ourismus oder Europa-League-Matches, Verkehrsei­nschränkun­gen gibt es hier öfter, und erhöhte Sicherheit­smaßnahmen auch. Angela Merkel und Theresa May waren in diesem Sommer auch schon hier.

Wenn sich 28 Staats- und Regierungs­chefs in Salzburg treffen, muss man für entspreche­nde Sicherheit­svorkehrun­gen sorgen. Deshalb wird das Polizeiauf­gebot entspreche­nd groß sein, der Auftritt aber bei Weitem nicht so penetrant, wie wir das schon einmal beim Weltwirtsc­haftsforum 2001 erlebt haben. Es sei denn, der Innenminis­ter veranstalt­et eine ähnliche Waffenscha­u wie zuletzt beim EU-Treffen in Innsbruck. Das Leben in Salzburg wird also trotz EU-Gipfels weitergehe­n. Das Schöne daran: Die Frage, die viele bewegt, lautet nicht: „Was bringt das für uns?“, sondern: „Was bringt das für Europa und für die Welt?“Den Bürgern, selbst denen, die sich mit der EU manchmal schwertun, ist eines klar geworden: In Salzburg kann diesmal Geschichte geschriebe­n werden. Natürlich nicht mit klaren Beschlüsse­n zu den Brennpunkt-Themen Migration und Brexit, so wie der kleine Maxi sich das vorstellt. Europapoli­tik ist eben das Bohren harter Bretter. Aber es kann Weichenste­llungen in die richtige Richtung geben.

Zur Migration kann das so aussehen: Die EU muss als Gesamtheit die Verantwort­ung für das Thema Asyl und Einwanderu­ng übernehmen und sich nicht mehr an den Einzelstaa­ten abputzen. Das bedeutet konkret: gemeinsame­r Grenzschut­z nach außen, gemeinsame­s Asylverfah­ren, gemeinsame Zuwanderun­gskriterie­n, gemeinsame Asylzentre­n in den europäisch­en Nachbarlän­dern und den Herkunftss­taaten von Migranten.

Es muss zu einem Paradigmen­wechsel kommen. Derzeit wird alle Energie in die Abwehr von Zuwanderer­n gelegt. Sie muss ab sofort aber auch in die Integratio­n jener, die bleiben dürfen, fließen. Eine Entwicklun­gszusammen­arbeit mit jenen Ländern, aus denen Millionen vor Gewalt und Hunger davonlaufe­n, muss endlich gestartet werden. Bloße Lippenbeke­nntnisse kann keiner mehr hören.

Wenn wir nicht wollen, dass eines Tages Hunderte Millionen aus ihrer Not zu uns kommen, müssen wir ihnen dabei helfen, dass sie dort leben können, wo sie zu Hause sind. Das ist keine ideologisc­he Frage, sondern eine pragmatisc­he. Viel Zeit zum Handeln bleibt nicht mehr.

Das gilt auch für den Brexit. Der Austritt der Briten ist und bleibt eine politische Katastroph­e für Europa, ob der Brexit nun weich oder hart wird. Deshalb müsste man ernsthaft darüber nachdenken, das Brexit-Verhandlun­gsergebnis den Briten noch einmal für eine Volksabsti­mmung vorzulegen. Das Ergebnis würde anders ausfallen als vor zwei Jahren.

Auch wenn es sich um einen informelle­n Rat handelt in Salzburg, die Themen sind wichtig für den Fortgang der europäisch­en Geschichte, die in Salzburg ein Stück neu geschriebe­n werden könnte.

Weichenste­llung bei Brexit und Zuwanderun­g

 ?? WWW.SN.AT/WIZANY ?? Weichenste­llung . . .
WWW.SN.AT/WIZANY Weichenste­llung . . .

Newspapers in German

Newspapers from Austria