Rede sich raus, wer kann!
Was die Menschen zusammenhält. Die beste Rede ist und bleibt die Ausrede. Sie schützt uns vor Angriffen selbstgerechter Autoritäten.
Am Anfang der Welt mag das Feuer gewesen sein. Aber gleich danach kam schon die Ausrede. Sie können das in der Bibel nachlesen. Denn nachdem Adam und Eva trotz Verbotsschild einen Apfel vom Baum der Erkenntnis gekostet haben, wurden sie umgehend vor Gericht geladen. Daraus lernen wir: Bereits Adam und Eva lebten in einem Überwachungsstaat, der sich als Paradies tarnte. So steht es im Buch Genesis, wo Gott als eine Art Big Father mit Abschiebevollmacht charakterisiert wird. Zuerst nahm er Adam ins Kreuzverhör: „Hast du vom Baum gegessen, von dem zu essen ich euch verboten habe?“Das war gefinkelt. Wie soll man auf diese Frage antworten, wenn man gerade auf frischer Tat ertappt wurde? Mit einer Lüge? Die hätte Gott durchschaut. Womöglich ging Adam sogar die berühmteste aller Ausreden durch den Kopf: „Schatz! Es ist nicht so, wie es aussieht!“Aber Adam konnte sich rausreden. Er tat das, was Männer heute noch gern tun, wenn sie nicht mehr weiterwissen. Sie geben ihrer Ehefrau die Schuld. Er antwortete also: „Die Frau, die du mir beigestellt hast, sie hat mir vom Baum gegeben, und so habe ich gegessen.“Das war nicht die feine Art. Aber es war auch nicht gelogen. Nun konfrontierte Gott Eva mit ihrer Schuld. Die war aber erst recht nicht blöd, deutete auf die hinterlistige Schlange und gab wahrheitsgemäß zu Protokoll: „Die Schlange hat mich verführt, und so habe ich gegessen.“Spätestens jetzt dürfte sich Gott der Aussichtslosigkeit seiner Lage bewusst geworden sein. Denn auch bei Adams Ausrede schwang ja schon leise ein Vorwurf an Gott mit. Er sagte: „Die Frau, die du mir beigestellt hast ...“Denn ohne Anfeuerungen von Eva würde Adam wohl heute noch gemütlich im Paradies vor seiner Hütte sitzen und gelegentlich ein Schwein grillen. Verzichtete Gott also aus reinem Selbstzweck auf eine Befragung der Schlange? Schließlich muss ihm bewusst gewesen sein: Auch dieses hinterlistige Geschöpf ging aus seiner Schöpfung hervor. Den Ausgang kennen wir: Adam und Eva mussten das Paradies verlassen. Womit schon das erste Menschenpaar ein Flüchtlingspaar war. Die Schlange hat er verdammt. Aber sie durfte bleiben. Berufungsmöglichkeit? Keine Chance. Juristisch ging man im Garten Eden also vor, wie heute in jedem x-beliebigen Gottesstaat. Heute würde man diese Familienangelegenheit vor dem Bezirksgericht verhandeln. Man würde das Elternhaus der angeklagten Geschöpfe durchleuchten und herausfinden, dass sie ohne
Mutter aufwachsen mussten. Die strengen Erziehungsmethoden des Vaters wären vor Gericht von Verhaltenspsychologen zerpflückt worden. Als Sachverständiger würde wohl der Teufel befragt. Und er würde sagen: „Herr Rat! Glauben Sie mir: Ein Scheit’ allein kann nicht brennen.“
Die Vertreibung aus dem Paradies war also zu hart. Die Strafe hätte auf Bewährung ausgesetzt werden müssen. Wie verschlungen die Wege der Ausrede sind, das beweist die Raffinesse unserer Sprache. Ausreden sind nicht salonfähig, konkrete Aussagen werden geschätzt. Andererseits sind es Reden, die die Welt verändern. Was man von alten Sagen nicht behaupten kann.
Adam und Eva hätten sich den Wirbel überhaupt ersparen können, wenn sie eine gute Rechtsanwältin gehabt hätten. Eine wie die psychologische Unternehmensberaterin Brigitte Roser. Sie hat das Buch „Das Ende der Ausreden“verfasst und fand dabei heraus: „Ausreden machen ineffektiv, wenn damit Verantwortung abgeschoben wird, aber sie sind nötig, um eine angenehme Kommunikationsatmosphäre zu schaffen.“Ein Beispiel für Ineffizienz wäre: „Ich kann das nicht. Dafür habe ich kein Talent. Fragen Sie bitte meinen Kollegen.“Diese Taktik wählten übrigens auch Adam und Eva.
Ein Beispiel für eine konstruktive Ausrede wäre: Ein Arbeitskollege lädt Sie zu ihm nach Hause zum Abendessen ein. Sie denken: „Ich mag mit diesem Einfaltspinsel und seiner nervtötenden Frau keine Zeit verschwenden.“Um weiterhin konstruktiv zusammenarbeiten zu können, wird man das anders formulieren: „Da können wir leider nicht. Unsere Schwiegereltern kommen auf Besuch. Das kann ich nicht verschieben. Meine Frau würde mir diese kurzfristige Absage nie verzeihen. Apropos Frau: Ganz, ganz liebe Grüße an deine charmante Frau.“
In diesem Fall rückt die Ausrede in den Rang der gesellschaftlich höchst angesehenen Kulturtechnik namens Höflichkeit. Es ist schade, dass Gott nicht mehr die Schlange befragt hat. Denn ihr hätten wir die wohl beste Ausrede zugetraut: „Wie? Apfel? Vom Baum der Erkenntnis? Da musst du dich täuschen, lieber Gott. Wir haben diesen Computer und dieses iPhone ganz bestimmt nicht angefasst. Wir haben uns alle nur zärtlich aneinandergeschmiegt und dabei gesundes Obst gegessen. Du weißt ja: An apple a day ...“