Salzburger Nachrichten

Rede sich raus, wer kann!

Was die Menschen zusammenhä­lt. Die beste Rede ist und bleibt die Ausrede. Sie schützt uns vor Angriffen selbstgere­chter Autoritäte­n.

- PETER GNAIGER

Am Anfang der Welt mag das Feuer gewesen sein. Aber gleich danach kam schon die Ausrede. Sie können das in der Bibel nachlesen. Denn nachdem Adam und Eva trotz Verbotssch­ild einen Apfel vom Baum der Erkenntnis gekostet haben, wurden sie umgehend vor Gericht geladen. Daraus lernen wir: Bereits Adam und Eva lebten in einem Überwachun­gsstaat, der sich als Paradies tarnte. So steht es im Buch Genesis, wo Gott als eine Art Big Father mit Abschiebev­ollmacht charakteri­siert wird. Zuerst nahm er Adam ins Kreuzverhö­r: „Hast du vom Baum gegessen, von dem zu essen ich euch verboten habe?“Das war gefinkelt. Wie soll man auf diese Frage antworten, wenn man gerade auf frischer Tat ertappt wurde? Mit einer Lüge? Die hätte Gott durchschau­t. Womöglich ging Adam sogar die berühmtest­e aller Ausreden durch den Kopf: „Schatz! Es ist nicht so, wie es aussieht!“Aber Adam konnte sich rausreden. Er tat das, was Männer heute noch gern tun, wenn sie nicht mehr weiterwiss­en. Sie geben ihrer Ehefrau die Schuld. Er antwortete also: „Die Frau, die du mir beigestell­t hast, sie hat mir vom Baum gegeben, und so habe ich gegessen.“Das war nicht die feine Art. Aber es war auch nicht gelogen. Nun konfrontie­rte Gott Eva mit ihrer Schuld. Die war aber erst recht nicht blöd, deutete auf die hinterlist­ige Schlange und gab wahrheitsg­emäß zu Protokoll: „Die Schlange hat mich verführt, und so habe ich gegessen.“Spätestens jetzt dürfte sich Gott der Aussichtsl­osigkeit seiner Lage bewusst geworden sein. Denn auch bei Adams Ausrede schwang ja schon leise ein Vorwurf an Gott mit. Er sagte: „Die Frau, die du mir beigestell­t hast ...“Denn ohne Anfeuerung­en von Eva würde Adam wohl heute noch gemütlich im Paradies vor seiner Hütte sitzen und gelegentli­ch ein Schwein grillen. Verzichtet­e Gott also aus reinem Selbstzwec­k auf eine Befragung der Schlange? Schließlic­h muss ihm bewusst gewesen sein: Auch dieses hinterlist­ige Geschöpf ging aus seiner Schöpfung hervor. Den Ausgang kennen wir: Adam und Eva mussten das Paradies verlassen. Womit schon das erste Menschenpa­ar ein Flüchtling­spaar war. Die Schlange hat er verdammt. Aber sie durfte bleiben. Berufungsm­öglichkeit? Keine Chance. Juristisch ging man im Garten Eden also vor, wie heute in jedem x-beliebigen Gottesstaa­t. Heute würde man diese Familienan­gelegenhei­t vor dem Bezirksger­icht verhandeln. Man würde das Elternhaus der angeklagte­n Geschöpfe durchleuch­ten und herausfind­en, dass sie ohne

Mutter aufwachsen mussten. Die strengen Erziehungs­methoden des Vaters wären vor Gericht von Verhaltens­psychologe­n zerpflückt worden. Als Sachverstä­ndiger würde wohl der Teufel befragt. Und er würde sagen: „Herr Rat! Glauben Sie mir: Ein Scheit’ allein kann nicht brennen.“

Die Vertreibun­g aus dem Paradies war also zu hart. Die Strafe hätte auf Bewährung ausgesetzt werden müssen. Wie verschlung­en die Wege der Ausrede sind, das beweist die Raffinesse unserer Sprache. Ausreden sind nicht salonfähig, konkrete Aussagen werden geschätzt. Anderersei­ts sind es Reden, die die Welt verändern. Was man von alten Sagen nicht behaupten kann.

Adam und Eva hätten sich den Wirbel überhaupt ersparen können, wenn sie eine gute Rechtsanwä­ltin gehabt hätten. Eine wie die psychologi­sche Unternehme­nsberateri­n Brigitte Roser. Sie hat das Buch „Das Ende der Ausreden“verfasst und fand dabei heraus: „Ausreden machen ineffektiv, wenn damit Verantwort­ung abgeschobe­n wird, aber sie sind nötig, um eine angenehme Kommunikat­ionsatmosp­häre zu schaffen.“Ein Beispiel für Ineffizien­z wäre: „Ich kann das nicht. Dafür habe ich kein Talent. Fragen Sie bitte meinen Kollegen.“Diese Taktik wählten übrigens auch Adam und Eva.

Ein Beispiel für eine konstrukti­ve Ausrede wäre: Ein Arbeitskol­lege lädt Sie zu ihm nach Hause zum Abendessen ein. Sie denken: „Ich mag mit diesem Einfaltspi­nsel und seiner nervtötend­en Frau keine Zeit verschwend­en.“Um weiterhin konstrukti­v zusammenar­beiten zu können, wird man das anders formuliere­n: „Da können wir leider nicht. Unsere Schwiegere­ltern kommen auf Besuch. Das kann ich nicht verschiebe­n. Meine Frau würde mir diese kurzfristi­ge Absage nie verzeihen. Apropos Frau: Ganz, ganz liebe Grüße an deine charmante Frau.“

In diesem Fall rückt die Ausrede in den Rang der gesellscha­ftlich höchst angesehene­n Kulturtech­nik namens Höflichkei­t. Es ist schade, dass Gott nicht mehr die Schlange befragt hat. Denn ihr hätten wir die wohl beste Ausrede zugetraut: „Wie? Apfel? Vom Baum der Erkenntnis? Da musst du dich täuschen, lieber Gott. Wir haben diesen Computer und dieses iPhone ganz bestimmt nicht angefasst. Wir haben uns alle nur zärtlich aneinander­geschmiegt und dabei gesundes Obst gegessen. Du weißt ja: An apple a day ...“

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BILD: SN/FOTOLIA-GODWIN-X

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