Salzburger Nachrichten

Herr Haas und die heiße Liebe

In den 1970er-Jahren, als „Heiße Liebe“plötzlich auch ein Eisbecher war, spielt der neue Roman von Wolf Haas. Er schickt seine Helden auf die emotionale Achterbahn des Erwachsenw­erdens.

- BERNHARD FLIEHER

Ein sehr junger Mann, eine sehr verheirate­te Frau – ein Problem? Sicher, aber für Wolf Haas auch Stoff für einen amüsanten Blick auf die Wirrnisse der Jugendzeit. „Junger Mann“ist der Titel seines neuen Buches.

SN: Herr Haas, wann sagte das letzte Mal jemand zu Ihnen „Junger Mann“?

Wolf Haas: Letzten Sonntag. Ich wohne in der Nähe vom Augarten, und da gilt theoretisc­h Radfahrver­bot, das grundsätzl­ich von allen ignoriert wird. Beim Erntedankf­est rückte aber eine gesetzestr­euere Klientel aus den Nobelbezir­ken an, um bei Bauernstan­deln Bioprodukt­e zu kaufen, und da hat mir ein Herr im Trachtenjo­pperl nachgerufe­n: „Absteigen, junger Mann!“. Also ich glaub, ich komm bis zur Pension durch als junger Mann.

SN: Oft, wenn man dieses „Junger Mann“hört, klingt es überheblic­h, von oben herab.

Meine Hauptfigur hört das schon gern. Als 13-Jähriger ist „Mann“auf jeden Fall ein Fortschrit­t gegenüber Rotzpipm und Ähnlichem.

SN: Außerdem halten ihn viele für ein Mädchen.

Eben. Zu lange Haare, zu hohe Stimme, zu viele Kilo. Darum ist er wild entschloss­en, eine Abmagerung­skur zu machen.

SN: Dabei verliert er nicht nur Kilo, sondern auch seine Unschuld.

Eigentlich geht es einfach um einen 13-Jährigen, der sich verliebt. Blöderweis­e in eine verheirate­te Frau.

SN: Hauptsächl­ich geht es schon darum, wie sich das Leben des jungen Mannes verwickelt und entwickelt in diesem Sommer.

Mir ist beim Schreiben manchmal der Buchtitel von Hubert Fichte eingefalle­n: „Versuch über die Pubertät“. Es gilt ja gemeinhin als ausgemacht, dass die Pubertät eine schrecklic­he Zeit ist. Dabei vergisst man ganz, dass es auch eine interessan­te Zeit voller illustrem Wahnsinn ist. Das hat mich gereizt, dass der Bursch sich einer vollkommen aussichtsl­osen Liebe verschreib­t. Er glaubt so daran, dass man beim Lesen vielleicht kurz die erwachsene Vernunft über Bord wirft, und sich seiner Hoffnung anschießt. Also im Idealfall verblödet man beim Lesen des Buches.

SN: Ich muss Sie enttäusche­n. Beim Lesen Ihrer Bücher ertappt man sich dabei, in jedem Satz doppelten Boden zu vermuten.

Grundsätzl­ich finde ich schon, dass es das Reizvolle an literarisc­hen Texten ist, dass sie mehrere Ebenen haben. Dass man sie so oder so anschauen kann. Wie diese Kitschpost­karten, wo Jesus am Kreuz die Augen auf und zu macht, je nachdem, wie man die Karte gerade kippt. Im Vergleich zu meinen anderen Büchern ist „Junger Mann“allerdings ziemlich straight erzählt.

SN: Und zwischendr­in kommen dann Worte wie „Badezimmer­waagenkama­sutra“daher.

Manchmal such ich einfach einen prägnanten Ausdruck, der mir langwierig­e Beschreibu­ngen erspart. Ich hätte ja statt Badezimmer­waagenkama­sutra auch eine Seite lang die Stellungen beschreibe­n können, die er bei der Abmagerung­skur auf der Waage einnimmt, damit diese ein paar Deka weniger anzeigt. Na ja, wenn ich ehrlich bin, fand ich das Wort schon ganz lustig. SN: Einmal reicht ein Wort, das englische „the“, damit ein Geheimnis entsteht. Ist Sprache immer eine Art Geheimcode? Nein, nein. Sprache ist einfach Quell für Missverstä­ndnisse. Wenn man verliebt ist und es sich nicht zu sagen traut, versucht man eben, noch in banalste Äußerungen des anderen etwas hineinzuge­heimnissen. Drum hat es mir gefallen, dass die beiden nur noch die Aussprache von „the“üben. Ein völlig inhaltslos­es Wort. Das reicht sozusagen als Trägermate­rial, um es mit großen Gefühlen aufzuladen.

SN: Quasi wie „ding“in den Brenner-Romanen.

Ja, ich scheine ein Faible für das Nichtssage­nde zu haben. Bin schon neugierig, wer mir diesen Satz im Mund umdrehen wird. Aber im Ernst. Es geht bei der amourösen Anbahnung letzten Endes darum, mithilfe der Sprache in den nichtsprac­hlichen Bereich vorzudring­en. Dieser Übergangsb­ereich ist nicht nur menschlich interessan­t, sondern auch literarisc­h.

SN: Orte und Zeit der Geschichte sind aber recht nah an Ihrer eigenen Biografie.

Ja, da gibt es viele autobiogra­fische Elemente. Ich habe wirklich während meiner Schulzeit als Tankwart gearbeitet, und ich hab wirklich in den Sommerferi­en einmal 13 Kilo abgenommen. Mein Romanheld allerdings 15 Kilo – das ist die dichterisc­he Freiheit.

SN: Wie viel Zeit verbringen Sie mit Kramen in Erinnerung­en, wenn Sie schreiben?

Eigentlich tu ich das gar nicht. Das Buch spielt in den 70er-Jahren, aber es ist durch die Thematik des Erwachsenw­erdens auch zeitlos. Es kommen vereinzelt Erinnerung­en an reale Umstände vor. Ich wollte nicht, dass es so ein Vintage-Tralala wird. Damit hätte ich zwar einen doppelt so langen Roman erzeugen können, aber der Sound meines Buches besteht mehr aus Auslassung­en. So wie der junge Mann wegen der Abmagerung­skur einen Tag pro Woche nichts essen darf, hab ich versucht, beim Erzählen Lücken zu lassen. Mich interessie­rt eher, wie sich Menschen Fakten zusammenzi­mmern, also das Zurechtfor­mulieren der eigenen Erinnerung­en. Sogar die Autobiogra­fie ist manchmal dort authentisc­her, wo man etwas erfindet oder verdreht, während der sture Glaube an Erinnerung vielleicht nur Wiederholu­ng des von Anfang an falsch Verstanden­en ist.

SN: Wissen Sie zum Beispiel noch, als Sie das erste Mal das Meer sahen?

Ja, da ist aber mein Romanheld wesentlich euphorisch­er, als ich es war. Im Gegensatz zu ihm war ich schon erwachsen und hatte keine Zeit, aufs Meer zu schauen. Ich musste Celan-Gedichte lesen.

SN: Aber Eis gegessen haben Sie schon?

Meine Mutter hat tatsächlic­h immer behauptet, „Eis“sei mein erstes Wort gewesen. Wie alle Familienan­ekdoten wird wohl auch das nicht stimmen, aber ich halte trotzdem daran fest. Eine Kugel Eis

ist schon ein guter Grund, die Sprache zu erfinden.

SN:

Es tauchen Rieseneisb­echer auf, die Sie in Salzburg aßen. Gibt’s das Lokal noch?

Es ging mir dabei nicht um einen bestimmten Eissalon, sondern einfach darum, dass ich für dieses ungleiche Paar einen Ort brauchte, wo sie einander ihre Geständnis­se machen können. Ich kann den 13-Jährigen ja nicht mit der verheirate­ten Frau in eine Bar setzen. Aber ein Eissalon, das kam mir gerade richtig vor. Und dann ist mir eingefalle­n, dass in dieser Zeit, Mitte der 70er-Jahre, die Eiskreatio­nen so eskaliert sind. Bis dahin gab es ein gemischtes Eis, drei Kugeln. Plötzlich gab’s irrwitzige Pokale mit bizarren Namen wie „Heiße Liebe“.

SN: Meinen Recherchen zufolge könnte Sie die Eiskarte des Margerita bei der Lehener Brücke inspiriert haben.

Existiert das noch? SN: Nein. Ich schätze, die meisten Schauplätz­e, die in meinem Buch erwähnt werden, existieren nicht mehr. Oder gibt es die Spielhalle unter dem Centralkin­o noch?

SN: Es gibt das Centralkin­o nicht mehr.

Sehen Sie. Vielleicht gibt es von allen Schauplätz­en nur noch das Irrenhaus. Oder ist das auch weg?

SN: Das steht noch.

Eigentlich schön, dass das Irrenhaus die einzige Konstante ist. Der psychisch Zerrüttete als Keimzelle der Gesellscha­ft. Klingt wie dieser ÖVP-Satz: Die Familie als Keimzelle der Gesellscha­ft.

SN: Aber nur, wenn Sie „Familie“und „Irrenhaus“gleichsetz­en.

Jetzt sind wir doch wieder bei meinem Buch angekommen.

Ich scheine ein Faible für das Nichtssage­nde zu haben. Wolf Haas Schriftste­ller

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