Salzburger Nachrichten

Den Märkten nicht blind vertrauen

Zehn Jahre Lehman-Pleite. An der engen Verbindung zwischen Bankensyst­em und Immobilien­märkten habe sich wenig geändert, dort schlummere immer noch ein Risiko, warnt der deutsche Ökonom Moritz Schularick.

- RICHARD WIENS

Für das weltweite Finanzsyst­em war der Zusammenbr­uch von Lehman Brothers ein Schock. Es folgte die größte Finanzkris­e seit 1929. Warum es immer wieder zu großen Krisen kommt, was die Ursachen dafür sind und was man aus der Geschichte lernen kann, erklärt Wirtschaft­shistorike­r Moritz Schularick.

SN: Welche Rolle nimmt die Pleite von Lehman in der Finanzkris­e ein?

Moritz Schularick: Es war der sichtbare Zusammenbr­uch des amerikanis­chen Finanzsyst­ems, der fundamenta­le Probleme und Schieflage­n an den Vermögens- und Häusermärk­ten ins Bewusstsei­n der breiten Öffentlich­keit brachte. Insofern war Lehman kein isolierter Event, sondern ein Symptom.

SN: Was hat denn der Finanzkris­e 2008 letztlich den Boden bereitet?

Wir wissen, und das gilt auch für 2008, dass Krisen in der Regel auf Perioden folgen, in denen sich das Kreditwach­stum stark beschleuni­gt, Menschen und Banken bereit sind, Wetten auf die Zukunft einzugehen. Wir wissen auch, dass nicht nur die Menge der Kredite stark steigt, sondern der Preis dafür, also die Risikopräm­ie, auffällig niedrig ist. Das ist ein klarer Zusammenha­ng, der sich durch die Geschichte zieht.

SN: Wird dieses Wissen ignoriert?

In der Tat stellt sich die Frage, warum es immer wieder zu Krisen kommt, obwohl wir es mit profession­ellen Akteuren auf dem Finanzmark­t zu tun haben, die rechnen können und Geld verdienen wollen.

SN: Und wie lautet die Antwort?

Die haben wir noch nicht. Ein Argument, warum es ineffizien­te Kreditboom­s gibt, zielt auf das Eigenkapit­al ab. Es heißt, dass Banker einen Anreiz haben, exzessive Risiken einzugehen, weil sie, wenn es gut geht, reich werden, und wenn es nicht gut geht, jemand anderes die Rechnung bezahlt, also der Steuerzahl­er. Dem könne man mit mehr Eigenkapit­al vorbeugen. Diese These stand im vergangene­n Jahrzehnt oft im Vordergrun­d. Aber ich bin da skeptisch. SN: Wieso? Die Frage, ob mehr Eigenkapit­al ungesunde Kreditboom­s verhindert, ist eine andere als die, ob mehr Eigenkapit­al die Kosten der Krise für die Gesellscha­ft senkt. Beim zweiten sage ich ja, weil Banken mit mehr Eigenkapit­al mehr Verluste selbst tragen können.

SN: Lehman fehlte es nicht an Kapital, der Bank ging das Geld aus. Jetzt hören wir, Banken seien sicherer, weil sie über mehr Eigenkapit­al verfügen. Das stimmt also nicht?

Kapital hilft bei der Bewältigun­g der Krise, es verringert die sozialen Kosten. Aber es gibt so gut wie keine empirische Evidenz, dass es im Vorhinein die Wahrschein­lichkeit für eine Krise senkt. Eigenkapit­al ist für Krisen ein schlechter Maßstab. Niemand wusste, wie viel Kapital Lehman hatte, weil auch niemand wusste, was die Vermögenst­itel in ihren Büchern wert waren.

SN: Ihre Forschunge­n haben ergeben, dass es Kreditboom­s gibt, die gut enden, und solche, die schlecht ausgehen. Was gibt den Ausschlag?

Kreditboom­s sind erstens gefährlich, wenn sie sich in den Immobilien­preisen niederschl­agen. Das führt am Ende dazu, dass sich Kredite und Vermögensp­reise gegenseiti­g hochschauk­eln. Ein zweiter Indikator ist, wenn Banken in Relation zu den Einlagen zu viel Kredit vergeben, und sich Mittel kurzfristi­g auf dem Markt besorgen müssen. Ein drittes Warnsignal ist, wenn zur Befeuerung des Kreditboom­s ausländisc­hes Kapital angezogen wird. Diese drei Indikatore­n erklären ein Drittel bis die Hälfte der Kreditboom­s der vergangene­n 150 Jahre.

SN: Gibt es aktuell einen Kreditboom, der gefährlich werden könnte?

Der Elefant im Zimmer ist China, was das Kreditwach­stum im vergangene­n Jahrzehnt angeht. Die Wahrschein­lichkeit, dass es da zu einer massiven Finanzkris­e kommt, liegt quasi bei eins (ist also fast sicher, Anm.).

SN: Zurück zu 2008, was gab letztlich den Ausschlag, dass es eine weltweite Wirtschaft­skrise wurde?

Es müssen, wie auch 1929, die großen Volkswirts­chaften und Finanzzent­ren involviert sein. 2008 spielte eine große Rolle, dass man sich in der Makroökono­mie und letztlich in der Politik in den 20 Jahren vor der Krise eingeredet hat, das so etwas gar nicht passieren kann. In den Modellen kamen

Mehr Eigenkapit­al der Banken senkt die sozialen Kosten einer Krise. Moritz Schularick Wirtschaft­shistorike­r

Banken oder ineffizien­te Kreditboom­s nicht vor. Dieses Denken hielt auch in den Zentralban­ken Einzug, das Modell, mit dem sie und Regulierer auf die Welt schauten, war: Märkte sind effizient, die Akteure unter Verwendung aller verfügbare­n Informatio­nen völlig rational – in der Vorstellun­g lebte man in der besten aller Welten.

SN: Die Sicht der Aufseher und der Regulierer hat sich geändert, es gibt viele neue Regeln. Ist das Bankensyst­em dadurch sicherer geworden?

Ich glaube eigentlich nicht. Wir haben weiter eine enge Verzahnung des Bankensekt­ors und der Immobilien­märkte. In den Industriel­ändern sind im Durchschni­tt zwei Drittel der Bankenkred­ite in der einen oder anderen Art mit Immobilien besichert. Das ist problemati­sch, weil das, was Banken in den Büchern haben, ein nicht diversifiz­iertes Marktrisik­o ist. Sie gehen also Risiken ein, die nur die Zentralban­ken und die Steuerzahl­er absichern können. Auf den Punkt gebracht: Brechen die Immobilien­märkte ein, haben wir wieder eine Finanzkris­e.

SN: Wenn es Muster gibt, wie sich Finanzkris­en aufbauen: Was lehrt uns die Geschichte, um dafür in Zukunft besser gewappnet zu sein?

Ich denke, eine Lektion ist, dass es einen Zusammenha­ng zwischen Kreditwach­stum, Vermögensp­reisen und der Wahrschein­lichkeit für Krisen gibt. Das haben alle realisiert. Die zweite Lektion ist, Preissigna­len der Finanzmärk­te nicht blind zu vertrauen. Es gibt sehr viele Hinweise für systematis­che Fehlbewert­ungen. Man sollte also die Bewertung von Vermögenst­iteln mit einer guten Portion Skepsis betrachten. In Deutschlan­d (auch in Österreich, Anm.) gab es im Handelsges­etzbuch früher das Niederstwe­rtprinzip. Das hat man irgendwann zugunsten der Bewertung nach Marktpreis­en abgeschaff­t. Damit segelt man hart am Wind, das ist der amerikanis­che Zugang, Europäer neigen eher zur Vorsicht. Die Frage ist, welche Kosten die hat. Jüngste Arbeiten von Kollegen zum Nettoeffek­t von Kreditboom­s suggeriere­n, dass das Wachstum nicht so viel höher ist, dass es die Kosten von Krisen kompensier­t. Man könnte also stärker regulieren, ohne dass das Wachstumst­empo massiv sinken würde.

Moritz Schularick (*1975) lehrt nach Studien in Berlin, Paris und London Makroökono­mie an der Uni Bonn. Seine Arbeiten zu den Ursachen von Finanzkris­en und zur Ordnung des Finanzsyst­ems finden weltweit Beachtung.

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