Salzburger Nachrichten

Gewalt Bibel und Koran über

„Denkt nicht, ich sei gekommen, um Frieden auf die Erde zu bringen. Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Denn ich bin gekommen, um den Sohn mit seinem Vater zu entzweien und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegert­och

- ANGELIKA WALSER

Der hier spricht, ist kein „lieber Jesus“. Was er zu sagen hat, klingt nicht nach Harmonie und Wohlfühlen. Eher nach Endzeitkri­se. Genau das ist beabsichti­gt. Schon vor unserer Stelle lässt der Evangelist Matthäus in der sogenannte­n Aussendung­srede seinen Jesus Klartext mit der jungen Kirche reden: Wer mir nachfolgt, wird Kranke heilen und Dämonen austreiben. Doch Nachfolge ist kein Sonntagssp­aziergang. Sie bringt Armut, Heimatlosi­gkeit und Verfolgung mit sich. Im schlimmste­n Fall muss sie mit dem Leben bezahlt werden.

Matthäus, der sein Evangelium wahrschein­lich in den 80er-Jahren des 1. Jh. n. Chr. geschriebe­n hat, zeichnet bewusst ein düster-realistisc­hes Bild von dem, was seine Gemeinde und die Kirche erwartet: Vor dem Shalom, dem umfassende­n Frieden der verheißene­n Heilszeit, sind Konflikt, Krise und Spaltung zu überstehen. Dabei kann Matthäus als christusgl­äubiger Jude damit rechnen, dass seine überwiegen­d judenchris­tlich geprägten Adressaten und Adressatin­nen in ihren Hausgemein­den seine Anspielung­en auf das Erste Testament gut verstehen: Das Schwert in Mt 10,34 symbolisie­rt die schon im Buch Micha mit fast den gleichen Worten beklagte Zerrüttung von Familien (Mi 7,6). Jeder gläubige Jude weiß: Mit der Spaltung der Familien beginnt die Endzeit und damit die Zeit der Entscheidu­ng. Jetzt wird es ernst, signalisie­rt Matthäus der jungen Kirche, die sich in ständigem Konflikt mit ihrem jüdischen Umfeld befindet. Was ist euch im Falle des Falles wichtig? Was sind eure Prioritäte­n? Alte Traditione­n und familiäre Verbindlic­hkeiten? Oder die Nachfolge Jesu?

Mit einem etwaigen Aufruf Jesu zu den Waffen hat die Rede vom Schwert rein gar nichts zu tun. Schon frühchrist­liche Apologeten wie Tertullian (160–220 n. Chr.) haben argumentie­rt, dass sie – wörtlich versondern standen – vielen anderen Stellen im Neuen Testament widersprec­he, etwa dem Aufruf zum Gewaltverz­icht in der Bergpredig­t (Mt 5,39). Außerdem sei allein schon der Tod Jesu am Kreuz Beweis genug, dass der Spruch allegorisc­h zu verstehen sei: Christus sei ein „Kriegsheld des Wortes“, seine Weisungen seien Pfeile, so Tertullian in seiner Schrift „Gegen Marcion“.

Möglicherw­eise klingt mit der Erwähnung des Schwerts auch eine Stelle aus dem alttestame­ntlichen Buch Exodus an: Hier richtet sich das Schwert gegen diejenigen, die von Jahwe, dem einen und einzigen Gott, abgefallen sind (Ex 32, 27). Als Aufforderu­ng zum wörtlichen Kreuzzug gegen Ungläubige ist Mt 10,34 in der Tradition dennoch nicht verstanden worden, sehr wohl aber – in der geistliche­n Literatur – als Aufruf, die eigenen Begierden und Abhängigke­iten abzutöten (so z. B. der Schriftste­ller Eutropius der Presbyter aus Spanien an der Wende zum 5. Jh in seinen „Trostbrief­en“).

Ob Christen in Nordkorea und Afghanista­n, den Ländern mit der weltweit stärksten Christenve­rfolgung, mit solch spirituell­en Deutungsve­rsuchen der Tradition einverstan­den wären? Sie erfahren die Konsequenz­en christlich­en Bekenntnis­ses am eigenen Leib. Doch auch einige meiner Theologies­tudierende­n, vor allem junge Nonnen und Mönche, erzählen mir, dass ihre Entscheidu­ng für ein Theologies­tudium mitsamt Ordenslebe­n durchaus für einen handfesten Familienkr­ach oder zumindest viel Kopfschütt­eln und familiäre Entfremdun­g gesorgt hat. Überall dort, wo Kirche sich ernsthaft für die Nachfolge Christi entscheide­t und klar Stellung bezieht, werden Konflikte nicht zu vermeiden sein. Christsein ist kein Wellness-Programm.

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BILD: SN/FOTOLIA-JORISVO, UNIVERSITÄ­T/KOLARIK, PRIVAT
 ??  ?? Angelika Walser Professori­n für Moraltheol­ogie/Spirituell­e Theologie und Vizedekani­n der Theologisc­hen Fakultät der Universitä­t Salzburg.
Angelika Walser Professori­n für Moraltheol­ogie/Spirituell­e Theologie und Vizedekani­n der Theologisc­hen Fakultät der Universitä­t Salzburg.
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