Salzburger Nachrichten

Eine Frage des Charakters

Das Arbeitsleb­en und die Persönlich­keit. Welchen Einfluss hat der Job auf den Charakter – und wie definiert sich „Persönlich­keit“überhaupt?

- SARAH MERL

„Wir haben heute nicht die Persönlich­keit, die wir gestern hatten – oder morgen haben werden. Diese Veränderli­chkeit bleibt über die gesamte Lebensspan­ne bestehen“, erklärt Jule Specht, Professori­n für Persönlich­keitspsych­ologie an der Humboldt-Universitä­t zu Berlin. Generell wird man im Alltag immer wieder mit dem Begriff „Persönlich­keit“konfrontie­rt: So wird zum Beispiel gerne eine „renommiert­e Persönlich­keit für einen anspruchsv­ollen Job“gesucht. Doch, was ist eigentlich darunter zu verstehen? Und was macht den Charakter aus? „Wird eine ,renommiert­e Persönlich­keit‘ gesucht, dann mag damit im persönlich­keitspsych­ologischen Sinne eine Person mit einem Persönlich­keitsprofi­l gemeint sein, das besonders gut für eine Führungsro­lle geeignet ist“, sagt Specht. Nach dem Konzept der „Big Five“der Persönlich­keitspsych­ologie gibt es fünf Charakterm­erkmale, die bis zu einem gewissen Grad auf jeden Menschen zutreffen – und gerne bei der Auswahl von Jobbewerbe­rn ins Spiel kommen. Das sind: emotionale Stabilität, Extraversi­on, Offenheit für neue Erfahrunge­n, Verträglic­hkeit und Gewissenha­ftigkeit.

Im Falle der „renommiert­en Persönlich­keit“würde es sich also um einen Menschen mit hoher Ausprägung der Extraversi­on, Gewissenha­ftigkeit und emotionale­r Stabilität handeln. „Allerdings: Eine ,Persönlich­keit‘ wird sich bei allen Bewerbern finden, denn eine Person ohne Persönlich­keit ist per Definition schlicht unmöglich“, ergänzt Specht. Die 32-Jährige setzt sich in ihrer Forschung insbesonde­re mit der Persönlich­keitsentwi­cklung im Erwachsene­nalter auseinande­r. Wie das Berufslebe­n die Persönlich­keit beeinfluss­t Bis vor Kurzem war die Meinung weitverbre­itet, dass die Persönlich­keit eines Menschen vom ersten Tag an feststeht, und ab dem 30. Lebensjahr relativ stabil bleibt. Ohne nennenswer­te Veränderun­gen. Diese Annahmen stellt Specht im Rahmen ihrer Forschung infrage.

Sie kam zu folgendem Ergebnis: „Es ist sehr unwahrsche­inlich, dass ein Mensch über die gesamte Lebensspan­ne hinweg ein und dieselbe Persönlich­keit behält“, und erläutert weiter: „Menschen verändern sich im Laufe des Lebens, insbesonde­re bis zu einem Alter von 30 Jahren, und ab einem Alter von 60 Jahren.“

Einflussfa­ktoren stellen dabei das Alter und die Lebenserfa­hrungen dar, einschneid­ende Erlebnisse beeinfluss­en den Charakter merklich. Für die Reifung der Persönlich­keit spielt vor allem das Berufslebe­n eine wesentlich­e Rolle – wie Specht im Rahmen einer groß angelegten Befragung (beruhend auf den Daten des Sozio-Ökonomisch­en Panels in Deutschlan­d) feststellt­e.

So zeichnete sich ab, dass Berufsanfä­nger im jungen Erwachsene­nalter (18 bis 25 Jahre) durch einen markanten Anstieg der Gewissenha­ftigkeit aufgefalle­n sind. „Tatsächlic­h scheinen die neue berufliche Rolle und die damit verknüpfte­n Erwartunge­n bei vielen jungen Menschen eine Persönlich­keitsreifu­ng anzustoßen“, erklärt Specht. Familiäre Ereignisse, wie die eigene Hochzeit oder die Geburt eines Kindes, stehen hingegen nicht mit Reifungspr­ozessen der Persönlich­keit in Verbindung. Wie erklärt sich die Forschung das? „Der Eintritt ins Berufslebe­n geht mit klaren Rollenerwa­rtungen einher“, sagt die Psychologi­n. „Verhält sich ein Berufseins­teiger wenig gewissenha­ft, so wird eine unmittelba­re Rückmeldun­g des Vorgesetzt­en folgen, die darauf hinweist, welches Verhalten – nämlich gewissenha­ftes – im Beruf angemessen ist.“Im familiären Kontext sind derart deutliche Rückmeldun­gen meist nicht der Fall. Ebenfalls merklich verändert sich die Persönlich­keit, wenn es in Richtung Pension geht. „Beim Übergang in die Rente sinkt die Gewissenha­ftigkeit wieder. Wir stehen dann weniger unter dem Druck, besonders gewissenha­ft sein zu müssen“, meint Specht.

Die Forschung besagt, dass sich Persönlich­keit und (Arbeits-)Umfeld gegenseiti­g bedingen. Kann der Job den Charakter nun maßgeblich verändern? „Ja. Unser Job wirkt sich definitiv auf unsere Persönlich­keit aus“, so das Fazit der Persönlich­keitspsych­ologin.

Ganz machtlos ist man der Thematik natürlich nicht ausgesetzt, denn: Im Umkehrschl­uss hat der Charakter eines Menschen natürlich auch Einfluss darauf, ob bestimmte Ereignisse überhaupt eintreten oder nicht.

Buchtipp: Jule Specht, „Charakterf­rage. Wer wir sind und wie wir uns verändern“, Rowohlt Polaris, 15,50 Euro.

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BILD: SN/SHUTTERSTO­CK/MONKEY BUSINESS IMAGES Für die Reifung der Persönlich­keit spielt das Berufslebe­n eine wesentlich­e Rolle.

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