„Singende Statuen“entfalten zeitlose Kraft
Wagners „Tristan und Isolde“als Wiedergeburt einer Rekonstruktion im Linzer Musiktheater.
Die Idee ist bestechend und kam vom Intendanten des „Opernhauses des Jahres“in Lyon: Für sein jährliches Schwerpunktthema wählte Serge Dorny den Begriff der Erinnerung („Mémoires“), um ikonografische Inszenierungen früherer Jahre und Jahrzehnte zu rekonstruieren. Das Ephemere der Regiekunst: Lässt es sich bewahren und aus der Geschichte neu deuten?
Eine dieser Regielegenden war zwischen 1993 und 1999 in Bayreuth zu erleben: Heiner Müllers Deutung von „Tristan und Isolde“in den magischen Bühnenräumen von Erich Wonder. Wagners „Handlung“in drei Aufzügen bietet ja eigentlich eines nicht: Handlung im herkömmlichen Sinn. Und so wurden die Stationen des Dramas um Todessehnsucht und Liebesglut des ungleich-gleichen Paares zu symbolischen, zeichenhaft abstrakten Orten, die sich tatsächlich als von zeitloser Schönheit erweisen.
Heiner Müller, der enigmatische (ost)deutsche Dichter, wollte keine Psychologisierung, seine Figuren sollten Archetypen sein, sich bewegen wie „singende Statuen“. Sieht man das – auch ohne Kenntnis des Bayreuther Originals – heute, mutet ein solches Vorgehen erstaunlich modern an: szenische Installation statt bewegtes und bewegendes Musiktheater, Innenschau statt Außenwirkung.
Für Lyon wurden die nicht mehr existierenden Bühnenbilder nachgebaut und neu beleuchtet. Heiner Müllers einstiger Assistent, Stephan Suschke, mittlerweile Schauspielchef am Linzer Landestheater, brachte nun die Rekonstruktion ins dortige Musiktheater, wo sie seit Samstag zu sehen ist: quasi als streng schöne, archaisch wuchtige Wiedergeburt einer Wiedergeburt.
Natürlich verändern sich mit Orten und äußeren Gegebenheiten auch innere Gewichtungen. Das neue Opernhaus in Linz ist breit und offen, Wonders Guckkästen müssen ihre Konzentration ebenso neu ausbalancieren, wie der Klang neu auszurichten ist. Magie und Aura des Bayreuther Festspielhauses lassen sich ja nicht rekonstruieren.
Das Brucknerorchester leistete an diesem Premierenabend Großes. Der seit einem Jahr tätige Chefdirigent Markus Poschner setzt auf schlanken, kalkulierten, dabei feinsinnig fließenden Duktus, auf Transparenz und detailreich aufgefächertes Filigran, weniger auf Rausch und Überwältigung. Auch wenn objektiv die mittleren Zeitwerte der drei gleich gewichteten Aufzüge nicht wesentlich vom gewohnten Maß abweichen, fühlt man in den Tempi eine epische Breite, die im Verein mit den statischen Bildern eine zeitliche Dehnung suggerieren, auf die man sich einlassen muss. Ton und Bild berühren sich aber dabei auf faszinierende Art: gleichsam das Neue im Alten.
Heiko Börner und Annemarie Kremer dürfen sich in den Titelrollen, beide als Rollendebütanten, getragen und aufgehoben fühlen im luziden, selten überbordenden Orchesterklang. Sie nutzen die Chancen für wohldosiertes Singen, das nicht Reserven verschleudert, sondern sie dort abrufen kann, wo sie gebraucht werden – etwa im mörderischen Fiebermonolog des Tristan, der eine klare musikdramatische Stringenz entwickelt, oder in Isoldes Liebestod, in dem der große Bogen ebenso straff gespannt wird, wie die leuchtende Höhe überzeugen kann (weniger noch die Tiefensubstanz).
Mit Dominik Nekel als Marke, Martin Achrainer als Kurwenal, Matthäus Schmidlechner als Melot sind gute Linzer Bekannte auf ihren auch deklamatorisch markanten Posten, für die Premiere war Dshamilja Kaiser eine Brangäne erster Wahl. Der Applaus für die auch in den Linzer Volksgarten übertragene Premiere fiel nach erschöpfenden fünfeinhalb Stunden gar nicht erschöpft aus. Oper: