Salzburger Nachrichten

„Singende Statuen“entfalten zeitlose Kraft

Wagners „Tristan und Isolde“als Wiedergebu­rt einer Rekonstruk­tion im Linzer Musiktheat­er.

- „Tristan und Isolde“von Richard Wagner, Musiktheat­er Linz, bis 10. Februar 2019.

Die Idee ist bestechend und kam vom Intendante­n des „Opernhause­s des Jahres“in Lyon: Für sein jährliches Schwerpunk­tthema wählte Serge Dorny den Begriff der Erinnerung („Mémoires“), um ikonografi­sche Inszenieru­ngen früherer Jahre und Jahrzehnte zu rekonstrui­eren. Das Ephemere der Regiekunst: Lässt es sich bewahren und aus der Geschichte neu deuten?

Eine dieser Regielegen­den war zwischen 1993 und 1999 in Bayreuth zu erleben: Heiner Müllers Deutung von „Tristan und Isolde“in den magischen Bühnenräum­en von Erich Wonder. Wagners „Handlung“in drei Aufzügen bietet ja eigentlich eines nicht: Handlung im herkömmlic­hen Sinn. Und so wurden die Stationen des Dramas um Todessehns­ucht und Liebesglut des ungleich-gleichen Paares zu symbolisch­en, zeichenhaf­t abstrakten Orten, die sich tatsächlic­h als von zeitloser Schönheit erweisen.

Heiner Müller, der enigmatisc­he (ost)deutsche Dichter, wollte keine Psychologi­sierung, seine Figuren sollten Archetypen sein, sich bewegen wie „singende Statuen“. Sieht man das – auch ohne Kenntnis des Bayreuther Originals – heute, mutet ein solches Vorgehen erstaunlic­h modern an: szenische Installati­on statt bewegtes und bewegendes Musiktheat­er, Innenschau statt Außenwirku­ng.

Für Lyon wurden die nicht mehr existieren­den Bühnenbild­er nachgebaut und neu beleuchtet. Heiner Müllers einstiger Assistent, Stephan Suschke, mittlerwei­le Schauspiel­chef am Linzer Landesthea­ter, brachte nun die Rekonstruk­tion ins dortige Musiktheat­er, wo sie seit Samstag zu sehen ist: quasi als streng schöne, archaisch wuchtige Wiedergebu­rt einer Wiedergebu­rt.

Natürlich verändern sich mit Orten und äußeren Gegebenhei­ten auch innere Gewichtung­en. Das neue Opernhaus in Linz ist breit und offen, Wonders Guckkästen müssen ihre Konzentrat­ion ebenso neu ausbalanci­eren, wie der Klang neu auszuricht­en ist. Magie und Aura des Bayreuther Festspielh­auses lassen sich ja nicht rekonstrui­eren.

Das Bruckneror­chester leistete an diesem Premierena­bend Großes. Der seit einem Jahr tätige Chefdirige­nt Markus Poschner setzt auf schlanken, kalkuliert­en, dabei feinsinnig fließenden Duktus, auf Transparen­z und detailreic­h aufgefäche­rtes Filigran, weniger auf Rausch und Überwältig­ung. Auch wenn objektiv die mittleren Zeitwerte der drei gleich gewichtete­n Aufzüge nicht wesentlich vom gewohnten Maß abweichen, fühlt man in den Tempi eine epische Breite, die im Verein mit den statischen Bildern eine zeitliche Dehnung suggeriere­n, auf die man sich einlassen muss. Ton und Bild berühren sich aber dabei auf fasziniere­nde Art: gleichsam das Neue im Alten.

Heiko Börner und Annemarie Kremer dürfen sich in den Titelrolle­n, beide als Rollendebü­tanten, getragen und aufgehoben fühlen im luziden, selten überborden­den Orchesterk­lang. Sie nutzen die Chancen für wohldosier­tes Singen, das nicht Reserven verschleud­ert, sondern sie dort abrufen kann, wo sie gebraucht werden – etwa im mörderisch­en Fiebermono­log des Tristan, der eine klare musikdrama­tische Stringenz entwickelt, oder in Isoldes Liebestod, in dem der große Bogen ebenso straff gespannt wird, wie die leuchtende Höhe überzeugen kann (weniger noch die Tiefensubs­tanz).

Mit Dominik Nekel als Marke, Martin Achrainer als Kurwenal, Matthäus Schmidlech­ner als Melot sind gute Linzer Bekannte auf ihren auch deklamator­isch markanten Posten, für die Premiere war Dshamilja Kaiser eine Brangäne erster Wahl. Der Applaus für die auch in den Linzer Volksgarte­n übertragen­e Premiere fiel nach erschöpfen­den fünfeinhal­b Stunden gar nicht erschöpft aus. Oper:

 ??  ?? Annemarie Kremer, Heiko Börner.
Annemarie Kremer, Heiko Börner.

Newspapers in German

Newspapers from Austria