Zwei Seelen wohnen in seiner Brust
Das Landestheater lockte aus der Stadt Salzburg heraus nach Seekirchen. Dort fügten sich drei Schauspielerinnen zu Harry Haller, der Hauptfigur aus Hermann Hesses „Der Steppenwolf“.
Aus Fleisch und Blut ist schließlich die/der/das Hermine
Dieser Mann ist innerlich zerrissen. Ein unbezähmbarer Steppenwolf will er sein und mietet sich doch in kleinbürgerlichen Verhältnissen ein. An die äußerste Konsequenz, den Selbstmord, wagt er sich dann doch nicht heran.
Die sinnsuchende und freiheitsliebende 68er-Generation entdeckte Harry Haller, den Protagonisten des Romans „Der Steppenwolf“. Hermann Hesse, der Mystiker unter den deutschen Dichtern der frühen Moderne, schreibt sich mit diesem Roman im Jahr 1927 ein Stück weit aus seiner eigenen Lebenskrise – und trifft 40 Jahre später einen Nerv in jenen, die die Werte einer verkrusteten Gesellschaft infrage stellen. Weitere 50 Jahre danach zeigt das Salzburger Landestheater dieses Werk in dramatisierter Form. Ob damit eine Generation erreicht werden kann, die ihre spärliche Freizeit in den sozialen Netzwerken am Smartphone verbringt?
Regisseur Johannes Ender hat sich bereits vor einem Jahr einem weiteren Lebensmüden der Literaturgeschichte gewidmet, Goethes Werther. Den nicht mehr ganz so jungen Haller besetzt Ender mit drei Frauen. Zunächst erscheint Janina Raspe, die im circensisch-expressionistischen Stile der 1920er-Jahre performt. Die Bühne der Kunstbox Seekirchen – die ersten beiden Vorstellungen der Produktion wurden in die Flachgauer Kulturinstitution ausgelagert – ist zunächst noch in weißes Leintuch gehüllt. Hannah Landes, die Ausstatterin und Puppenbildnerin, erzielt aus kleinen Dingen große Wirkung. Katharina Halus und Sonja Zobel kreieren aus Licht und leblosem Material viele der weiteren Figuren des Romans: Zunächst werden Dimensionen der bipolaren Persönlichkeit Harry Hallers per Schattentheater zurechtgerückt, dann erscheint der Neffe der Vermieterin – in der Romanvorlage ist er bisweilen Erzähler – als papierene Puppe. Den schnauzbärtigen Professor, den Harry Haller nach allen Regeln der NLP auseinandernimmt, fügen sie aus zwei Kreishälften zusammen – Georges Méliès’ Stummfilm „Die Reise zum Mond“lässt grüßen.
Aus Fleisch und Blut ist schließlich die/der/das Hermine: Janina Raspe verkörpert dieses anziehende Wesen aus der Halbwelt, das Harry Haller wieder Lebenslust einimpft. Was das mysteriöse „magische Theater“betrifft, das Generationen an Lesern in den Bann zog, greift die reduzierte Form der Inszenierung naturgemäß zu kurz: Keine Videos, keine Projektionen, keine Bilderflut. Die drogeninduzierte Selbstfindung Harry Hallers
bleibt unserer Fantasie überlassen. Eine Bühne auf der Bühne öffnet sich, und Johann Wolfgang von Goethe betritt das Terrain. Zuletzt locken die Schauspielerinnen das Publikum in den Innenhof des Seekirchner Emailwerks, wo Josef Vesely als Mozart bereits unter einem schattigen Baum wartet. Ein kurzes gemeinsames Tänzchen, und plötzlich verschwindet Harry Hallers Welt im Dunkel der Nacht.
Man darf gespannt sein, an welchem Außenschauplatz des Landestheaters diese Schlussszene gespielt wird: Ab Dienstag wandert die Produktion in die Stadt Salzburg.
Theater: „Der Steppenwolf“von Hermann Hesse, Bühnenfassung von Joachim Lux. Kammerspiele des Salzburger Landestheaters, ab 18. September in der Stadt.