Salzburger Nachrichten

Britische Politik steht kopf

Im Vereinigte­n Königreich beginnen die Parteitage. Das Tohuwabohu um den Brexit könnte in vorgezogen­en Neuwahlen enden.

- Prib

Die wichtigste Saison im politische­n Betrieb des britischen Königreich­s hat begonnen: die Parteitage. Das alles beherrsche­nde Thema: der Brexit. Premiermin­isterin Theresa May warnte vor einem ungeordnet­en Austritt aus der EU und drohte den Rebellen in ihrer Konservati­ven Partei beinahe, als sie sagte: „Es ist entweder mein Deal oder kein Deal.“Die Regierungs­chefin meinte den Vorschlag für ein Abkommen, der nach seiner Entstehung auf Mays Landsitz ChequersPl­an heißt. Zuvor hatte Londons Bürgermeis­ter Sadiq Khan von der opposition­ellen Labour-Partei ein weiteres Referendum gefordert. Er sehe keine Alternativ­e. Die Zeitungsse­iten sind voll von Beiträgen von Volksvertr­etern, die vor den Parteitage­n ihre Ideen ausbreiten. Erst kommen die europafreu­ndlichen Liberaldem­okraten. Es folgen die Labour-Mitglieder am Ende der Woche, die Konservati­ven sind im Anschluss an der Reihe. Bereiten sich die Parteien auf eine Neuwahl vor?

Die Treffen dürften noch mehr als bisher offenbaren, wie gespalten die Parteien derzeit dastehen, wie „bemerkensw­ert dysfunktio­nal“sie sind, sagt Patrick Dunleavy, Politikwis­senschafte­r an der London School of Economics and Political Science (LSE). Nicht nur die regierende­n Tories zeigen sich tief zerstritte­n. Auf der einen Seite stehen die lautstarke­n Europaskep­tiker, die einen harten Brexit fordern; auf der anderen Seite die moderaten Kräfte, die den Kurs von Theresa May – sie will eine Freihandel­szone mit der EU schaffen und einen Teil der gemeinsame­n Regeln beibehalte­n – mittragen oder den EU-Austritt gar komplett ablehnen.

Bei der opposition­ellen LabourPart­ei sieht die Lage kaum anders aus. Auch wenn etliche Parlamenta­rier einen ähnlichen Kurs wie Sadiq Khan unterstütz­en, hat Opposition­schef Jeremy Corbyn ein erneutes Referendum bisher ausgeschlo­ssen und ist auch sonst nicht gerade als EU-Liebhaber bekannt. Zwar deuten Umfragen mittlerwei­le an, dass die Mehrheit der Briten heute für einen Verbleib Großbritan­niens in der EU stimmen würde. Die Verschiebu­ng ist jedoch marginal. Allein die Menschen, die beim Referendum im Juni 2016 nicht zur Urne gingen, würden heute mehrheitli­ch für die Fortführun­g der EUMitglied­schaft votieren.

Dagegen steigt die Unterstütz­ung in der Öffentlich­keit für ein zweites Referendum, auch wenn keineswegs geklärt ist, was zur Wahl stehen würde. Ein weicher Brexit? Ein harter? In der EU bleiben? Ohne Deal gehen? Aufgrund der zahlreiche­n Fragezeich­en scheint die Stimmung im Unterhaus umzuschlag­en: „Viele Parlamenta­rier betrachten eine Neuwahl mittlerwei­le als bessere Option als ein zweites Referendum“, sagt der Politikwis­senschafte­r Tony Travers von der LSE. ExAußenmin­ister Boris Johnson gilt als der konservati­ve Kandidat mit den größten Erfolgsaus­sichten. Ebenfalls gute Chancen rechnet sich Corbyn aus, obwohl die Kritik an dem Altlinken selbst in der eigenen Partei immer weiter wächst.

Aber damit es zu Neuwahlen kommt, müsste Theresa May zunächst ein Misstrauen­svotum verlieren. Wahrschein­lich? Tony Travers zuckt mit den Schultern. „Alles ist möglich.“

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BILD: SN/AFP Premiermin­isterin Theresa May kämpft an vielen Fronten.
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