Die Lira-Krise zwingt die Türkei in einen Sparkurs
Erdoğan wollte sein Land bis 2023 unter die zehn größten Wirtschaftsnationen katapultieren. Aber daraus wird nichts.
Das Ziel ist ehrgeizig: Bis zum Jahr 2023, wenn sich die Gründung der Türkischen Republik zum 100. Mal jährt, will Staatschef Recep Tayyip Erdoğan sein Land in die Liga der zehn größten Volkswirtschaften führen. Aber jetzt macht ihm die Lira-Krise einen Strich durch die Rechnung. Ankara muss einen strikten Sparkurs steuern: Öffentliche Investitionen werden zurückgestellt, Subventionen gestrichen.
Bisher setzte Erdoğan auf eine Politik des billigen Geldes. Mit Steuervergünstigungen kurbelte er den privaten Konsum an. Mit staatlichen Kreditbürgschaften förderte er Investitionen. Und gigantische öffentliche Infrastrukturvorhaben gaben der Bauwirtschaft als wichtigstem Wachstumsmotor der türkischen Wirtschaft Schwung.
Doch jetzt muss der Präsident die Notbremse ziehen. Die Lira hat seit Jahresbeginn 40 Prozent ihres Außenwerts verloren. Die Inflation erreichte im August fast 18 Prozent – Tendenz steigend. Vergangene Woche erhöhte die Notenbank den Leitzins von 17,75 auf 24 Prozent. Die Abwertung der Lira, die Teuerung und steigende Zinsen drohen den Staatshaushalt zu sprengen. „Wir erwägen derzeit keine neuen Investitionen“, erklärte der Staatschef daher vergangene Woche vor Funktionären seiner Partei. Im Bau befindliche Vorhaben, die bereits zu 90 Prozent oder mehr vollendet sind, sollen Priorität bekommen. Bereits geplante, aber noch nicht vergebene Projekte würden zurückgestellt, sagte Erdoğan.
Um ihre Auslandsschulden zu refinanzieren, braucht die Türkei pro Monat rund 20 Milliarden Dollar. Es wird immer schwieriger und teurer, dieses Geld zu besorgen. Zumal das Wirtschaftswachstum an Tempo verliert: Nachdem das Bruttoinlandsprodukt (BIP) 2017 um 7,4 Prozent zulegte, erwartet die Ratingagentur Fitch für kommendes Jahr ein Plus von mageren 1,2 Prozent.
Damit rückt Erdoğans Ziel, das Land in die Spitzengruppe der Wirtschaftsnationen zu führen, in immer weitere Ferne. Derzeit liegt die Türkei auf Rang 18. Um unter die ersten zehn aufzusteigen, müsste sie Länder wie Mexiko, Kanada und Russland überholen.
Viele Volkswirte hielten Erdoğans Vision schon immer für eine Illusion. Angesichts der Währungskrise gilt es als ausgeschlossen, dass der Staatschef sein Wirtschaftsziel erreichen kann.
Ein Megaprojekt will die Regierung aber trotz der finanziellen Engpässe umsetzen: Kanal Istanbul, eine künstliche Wasserstraße, die im Westen der Metropole das Schwarze Meer mit dem Marmarameer verbinden und den Bosporus entlasten soll. Die Baukosten liegen bei mindestens 15 Milliarden Dollar. Ökonomen bezweifeln den wirtschaftlichen Sinn des Vorhabens. Aber Bau- und Umweltminister Murat Kurum bekräftigte jetzt, das Vorhaben werde umgesetzt. Erdoğan hatte bereits Anfang August versichert, der Kanal werde gebaut: „Es kommt nicht infrage, dieses Projekt aufzugeben – es ist unwiderruflich“, sagte er. Der Staatschef ließ durchblicken, dass es sich in erster Linie um ein Prestigeprojekt handelt: „Warum sollten wir nicht einen Kanal wie den Suezkanal oder den Panamakanal haben?“