Die Geschichte arbeitet im Individuum weiter
Eine Salzburger Autorin begibt sich auf die Suche nach der verlorenen Familienhistorie.
Den Anstoß zu diesem Buch bildet eine Irritation. Geboren 1959 in Salzburg ahnt das Kind früh, dass seine Familiengeschichte sich unterscheidet von der anderer Salzburger Kinder. Wenn die Eltern von ihrer Heimat reden, ist von „unten“die Rede. Damit ist Südosteuropa gemeint, von dem das Kind noch keinen Begriff hat. Es kennt das geheimnisumwobene Gebiet nur aus zweiter Hand, das ist verlockend genug. Nostalgisch und voller Wehmut klingen die Rückblicke der Erwachsenen selbst dann, wenn von den Härten der Existenz unter einfachsten Bedingungen gesprochen wird. Das hat seinen Grund darin, dass die Menschen ihr Land nicht freiwillig verlassen haben, sondern 1944 überstürzt flüchteten aus der serbischen Provinz Vojvodina, um als Deutsche nicht der Roten Armee in die Hände zu fallen. Das Kind wächst auf im Bewusstsein, dass es eine unerzählte, allenfalls in Bruchstücken überlieferte Geschichte der Familie gibt. Es dominieren heitere Episoden und traurige Erinnerungen an erlittenes Unrecht, aber über besondere Schmerzpunkte war ein Schweigegebot verfügt.
Die Erwachsene will mit der Ungewissheit nicht länger leben. Also begab sich Dorothea SteinlechnerOberläuter für ihr Buch „Mein Donauschwabien“, das am Montag im Salzburger Literaturhaus präsentiert worden ist, auf die Suche nach der verlorenen Geschichte ihrer Familie, die sich von einem persönlich durchgestandenen Drama weitet zu einer historisch abgesicherten Studie über die Donauschwaben in Österreich. Private und politische Geschichte lassen sich nicht trennen. Am Anfang der Donauschwaben-Familienbiografie der Oberläuters steht Carl Wilhelm, der sich 1858 in Weißkirchen am Fuß der Karpaten niederließ. In Leipzig wäre ihm keine Zukunft beschieden gewesen, während er es hier zu Ansehen bringen konnte. Das schafft die Autorin ausgezeichnet, individuelle Entscheidungen auf dem Hintergrund der Geschichte nachzuzeichnen.
Die historische Dimension macht nur eine Stärke des Bandes aus. Die Autorin ist von ihrer Ausbildung her Psychologin, deshalb beschäftigt sie sich mit den individuellen Auswirkungen von Schuld, Scham und dem Trauma der Emigration, eine komplizierte Angelegenheit. Immerhin standen jene, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg als Opfer einer Zwangsemigration sehen durften, davor auf der Seite der Täter. Schon deshalb ist für das Selbstverständnis von Bedeutung, wie die Eltern mit dem Holocaust verfuhren. Steinlechner-Oberläuter hatte Glück, immerhin wurde ihr als Jugendliche von ihrer Mutter der Film „Hitler – eine Karriere“zugemutet. Vom Vater berichtet sie, dass seine Beschäftigung mit dem Schicksal der Juden „selbstdestruktive Züge“angenommen habe. Dem Buch ist anzusehen, dass es nicht ohne Schmerzen verfasst wurde, ausgezeichnet geschrieben ist es sowieso.