Salzburger Nachrichten

Die Geschichte arbeitet im Individuum weiter

Eine Salzburger Autorin begibt sich auf die Suche nach der verlorenen Familienhi­storie.

- Anton Thuswaldne­r

Den Anstoß zu diesem Buch bildet eine Irritation. Geboren 1959 in Salzburg ahnt das Kind früh, dass seine Familienge­schichte sich unterschei­det von der anderer Salzburger Kinder. Wenn die Eltern von ihrer Heimat reden, ist von „unten“die Rede. Damit ist Südosteuro­pa gemeint, von dem das Kind noch keinen Begriff hat. Es kennt das geheimnisu­mwobene Gebiet nur aus zweiter Hand, das ist verlockend genug. Nostalgisc­h und voller Wehmut klingen die Rückblicke der Erwachsene­n selbst dann, wenn von den Härten der Existenz unter einfachste­n Bedingunge­n gesprochen wird. Das hat seinen Grund darin, dass die Menschen ihr Land nicht freiwillig verlassen haben, sondern 1944 überstürzt flüchteten aus der serbischen Provinz Vojvodina, um als Deutsche nicht der Roten Armee in die Hände zu fallen. Das Kind wächst auf im Bewusstsei­n, dass es eine unerzählte, allenfalls in Bruchstück­en überliefer­te Geschichte der Familie gibt. Es dominieren heitere Episoden und traurige Erinnerung­en an erlittenes Unrecht, aber über besondere Schmerzpun­kte war ein Schweigege­bot verfügt.

Die Erwachsene will mit der Ungewisshe­it nicht länger leben. Also begab sich Dorothea Steinlechn­erOberläut­er für ihr Buch „Mein Donauschwa­bien“, das am Montag im Salzburger Literaturh­aus präsentier­t worden ist, auf die Suche nach der verlorenen Geschichte ihrer Familie, die sich von einem persönlich durchgesta­ndenen Drama weitet zu einer historisch abgesicher­ten Studie über die Donauschwa­ben in Österreich. Private und politische Geschichte lassen sich nicht trennen. Am Anfang der Donauschwa­ben-Familienbi­ografie der Oberläuter­s steht Carl Wilhelm, der sich 1858 in Weißkirche­n am Fuß der Karpaten niederließ. In Leipzig wäre ihm keine Zukunft beschieden gewesen, während er es hier zu Ansehen bringen konnte. Das schafft die Autorin ausgezeich­net, individuel­le Entscheidu­ngen auf dem Hintergrun­d der Geschichte nachzuzeic­hnen.

Die historisch­e Dimension macht nur eine Stärke des Bandes aus. Die Autorin ist von ihrer Ausbildung her Psychologi­n, deshalb beschäftig­t sie sich mit den individuel­len Auswirkung­en von Schuld, Scham und dem Trauma der Emigration, eine komplizier­te Angelegenh­eit. Immerhin standen jene, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg als Opfer einer Zwangsemig­ration sehen durften, davor auf der Seite der Täter. Schon deshalb ist für das Selbstvers­tändnis von Bedeutung, wie die Eltern mit dem Holocaust verfuhren. Steinlechn­er-Oberläuter hatte Glück, immerhin wurde ihr als Jugendlich­e von ihrer Mutter der Film „Hitler – eine Karriere“zugemutet. Vom Vater berichtet sie, dass seine Beschäftig­ung mit dem Schicksal der Juden „selbstdest­ruktive Züge“angenommen habe. Dem Buch ist anzusehen, dass es nicht ohne Schmerzen verfasst wurde, ausgezeich­net geschriebe­n ist es sowieso.

 ??  ?? Buch: D. Steinlechn­er-Oberläuter, „Mein Donauschwa­bien – Wie ich nicht aufhören konnte, über meine Herkunft nachzudenk­en“, Edition Tandem 2018.
Buch: D. Steinlechn­er-Oberläuter, „Mein Donauschwa­bien – Wie ich nicht aufhören konnte, über meine Herkunft nachzudenk­en“, Edition Tandem 2018.

Newspapers in German

Newspapers from Austria