Die Fremde unter dem eigenen Dach
Eine Tochter verschwindet. Ihr Vater stellt fest, wie wenig er sie kannte: „Searching“ist ein Krimi im Social-Media-Format.
WIEN. Margot ist ein gutes Kind. Sie nimmt Klavierstunden, ist in der Schule brav, hilft daheim mit. Das ist nicht selbstverständlich, denn Margot ist 16 Jahre alt. Zudem haben sie und ihr Papa David (gespielt von John Cho) einen Verlust hinter sich, Margots Mama ist an Krebs gestorben. Doch Margot ist in dem Thriller „Searching“wie gesagt ein gutes Kind, und David vertraut ihr.
Bis sie eines Abends nicht nach Hause kommt. Offenbar war sie auch nicht in der Schule gewesen. David beginnt, in Margots Sachen herumzustöbern, durchsucht ihren Computer, versucht bei Freunden nachzufragen. Und stellt allmählich fest: Diese junge Frau, die unter seinem Dach wohnt und von der er dachte, er kenne sie in- und auswendig – sie ist eine Unbekannte. Es ist ein Gefühl, das Teenagereltern nicht fremd sein dürfte: Was lebt dieses einstige Kind für ein geheimes Leben? Ist es in Illegales verwickelt? Ist es womöglich in Gefahr? Regisseur Aneesh Chaganty setzt in seinem Langfilmdebüt viele falsche Fährten: „Searching“ist ein schlank inszeniertes, schlaues Krimivergnügen, das mit zeitgenössischen Mitteln erzählt ist. Chaganty arbeitet mit keiner einzigen konventionellen Kameraeinstellung. Die Leinwand zeigt, was allen Bildschirmarbeitenden der Gegenwart sehr vertraut ist: den Computerbildschirm des Vaters, wo anfangs der Desktop zu sehen ist, in Verzeichnissen abgelegte Fotos und Videos, die in immer modernerem Format die Geschichte der Familie erzählen wie ein Prolog, und dann auch WhatsApp-Nachrichten und andere Social-Media-Kanäle, auf denen der zunehmend verzagte David seine Tochter sucht. Später ist es der Blickwinkel der Bildschirmkamera, die eskalierenden Medienberichte im TV-Streaming. Das alles ist radikal zeitgenössisch und funktioniert blendend, ohne jede Irritation – und passt perfekt in den Rahmen des klassischen „Whodunnit“-Krimis. Was allerdings vermutlich nicht passieren wird: dass dieser Film „das Kino für immer verändern wird“, wie eine deutsche Kritik vermutet. Der subjektive SecondScreen-Blickwinkel ist fantastisches Werkzeug für genau diesen Film, doch die Annahme liegt nahe: Der Trick macht genau ein Mal Spaß. Dafür aber so richtig. Film: