Salzburger Nachrichten

Sprachverw­eigerung hält uns von der Wirklichke­it fern

Wer nur noch über Computerne­tzwerke kommunizie­rt, verpasst einen wichtigen Teil des Lebens.

- VIKTOR.HERMANN@SN.AT

Man stelle sich folgende Szene vor: In einem Restaurant auf einer beliebten Ferieninse­l, in dem man einen Tisch nur bekommt, wenn man Tage vorher reserviert; am Nebentisch nimmt ein Paar Platz, beide ca. 30 Jahre jung, braun gebrannt, sie hochschwan­ger. Nach der Lektüre der Speisekart­e und der Bestellung beginnt die Kommunikat­ion der beiden. Nein, nicht miteinande­r, sondern jeder für sich mit irgendwem auf der Welt per Smartphone. Da wurden Infos ausgetausc­ht, vermutlich über die Insel, das Restaurant, das Wetter und was sonst noch an Wichtigem mitzuteile­n war, statt miteinande­r zu reden. Das ist bei Weitem kein Einzelfall. Man hat schon ganze Familien gesehen, die sich wortlos jeder oder jede in seiner oder ihrer Cyberwelt verloren angeschwie­gen haben. So ist man zwar beisammen, aber nicht wirklich miteinande­r.

Dazu passt das Ergebnis einer neuen Studie aus den USA über das Kommunikat­ionsverhal­ten Jugendlich­er. Da geben zwei Drittel (!) von tausend befragten 13- bis 17-Jährigen an, sie zögen es vor, mit ihren Freunden online zu kommunizie­ren statt direkt und persönlich. Nur ein Drittel schaut den Menschen, mit denen sie sich unterhalte­n, noch gern ins Gesicht. Kommunikat­ion wird also immer distanzier­ter, man vermeidet den direkten Kontakt, weil man sich so auch nicht durch Mimik und Körperspra­che verraten kann. Wird da die Offenheit und Ehrlichkei­t im Umgang der Menschen miteinande­r zu Grabe getragen?

In eine ähnliche Richtung deutet ein Verhalten, das – wiederum ausgehend von den USA und Großbritan­nien – schon längst nach Europa herüberges­chwappt ist. Immer öfter verweigern sich vor allem Studenteno­rganisatio­nen oder Interessen­gemeinscha­ften einer kontrovers­en Diskussion, indem sie Veranstalt­ungen verhindern, bei denen ihnen nicht genehme Redner auftreten sollen. Da hört sich schnell einmal alle Liberalitä­t auf, da gilt das Bekenntnis zur Meinungsfr­eiheit nicht mehr, wenn je- mand provokante Thesen vertreten will. Niemand muss sich solch einen Redner anhören, doch wer anderen Meinungen nicht einmal mehr gestatten will, dass man sie diskutiert, der hat seinen Voltaire nicht verstanden.

Der Philosoph hielt einem Gegner vor: „Mein Herr, ich teile Ihre Meinung nicht, aber ich würde mein Leben dafür einsetzen, dass Sie sie äußern dürfen.“Diese Großzügigk­eit entspringt der Erkenntnis, dass nicht nur jeder das Recht auf seine Meinung hat, sondern dass Fortschrit­t nicht möglich ist ohne eine fruchtbare Diskussion verschiede­ner Standpunkt­e.

Wer andere Ansichten gar nicht erst hört, begibt sich der Möglichkei­t, seine eigene Meinung an einem Gegenpol zu messen und dabei Bestätigun­g zu finden oder etwas zu lernen. Wer Kommunikat­ion nur noch indirekt führt statt von Angesicht zu Angesicht, der merkt nicht, wenn er an der Nase herumgefüh­rt wird.

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Viktor Hermann

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