Krise bei Rot und Grün: Was ist mit den Linken los?
Die SPÖ versucht es mit einer neuen Vorsitzenden, die Grünen müssen sich überhaupt neu erfinden. Den Mitte-links-Parteien weht der Zeitgeist ins Gesicht.
Die Grünen: nicht mehr im Nationalrat. Die SPÖ: Geplagt von Intrigen und Richtungsstreitereien, versucht sie mit der neuen Parteichefin einen Neustart. Die SPD bei den deutschen Nachbarn: ruiniert sich in der Koalition und ist in Umfragen hinter die AfD zurückgefallen. Die europäische Sozialdemokratie: mit desaströsen Prognosen für die kommende EU-Wahl behaftet. Nur noch sechs der 28 EU-Staaten – Spanien, Portugal, Malta, die Slowakei, Rumänien, Schweden – sind sozialdemokratisch regiert. In Ungarn und Polen regieren Rechtsnationalisten. Und auch Österreich rückte nach der jüngsten Nationalratswahl deutlich nach rechts. Kurzum: Die Zeiten für die Linken sind schwer. Warum ist das so?
Inhaltliche Krise
Eigentlich hätten die Linksparteien genügend Themen: Die Veränderung der Arbeitswelt durch die Digitalisierung. Die prekäre Jobsituation der Generation Praktikum. Umweltschutz, Klimawandel, Pflege. Hier könnten Sozialdemokraten, Grüne und andere Parteien links der Mitte deutliche Akzente setzen. Doch das ist aus zwei Gründen nicht so leicht, wie es scheint. Zum einen sind die Zeiten, in denen staatliche Interventionen manch Problem überdecken konnten, vorbei. Es ist heute undenkbar, dass ein sozialdemokratischer Kanzler – wie bis in die Achtzigerjahre nicht unüblich – per politischer Weisung für Tausende Arbeitsplätze in der verstaatlichten Industrie sorgen kann. Denn es gibt heute kaum mehr eine verstaatlichte Industrie, diese ist durch ebendiese Politik ruiniert worden. Arbeitsplätze in einer globalisierten Welt entstehen heute nicht mehr auf Wunsch der Politik, sondern durch wettbewerbsfähige Unternehmen. Dies beschränkt den Aktionsradius klassischer sozialdemokratischer und sonstiger linker Politik.
Zum anderen kommen der Sozialdemokratie ihre eigenen Erfolge der vergangenen Jahrzehnte in die Quere. In Deutschland und Österreich begann in den Siebzigerjahren eine lange Ära sozialdemokratischer Politik, inklusive radikalen Ausbaus des Sozialstaats. Dieser ist mittlerweile so leistungsfähig, dass einer Partei, die den weiteren Ausbau des Sozialstaats zum Ziel hat, notwendigerweise die Luft ausgehen muss. SPÖ und Grüne wettern seit dem Regierungswechsel gegen den „Abbau des Sozialstaats durch die schwarz-blaue Koalition“. Diese Alarmrufe entfalten wenig Brisanz, denn Österreich liegt in puncto Umverteilung im absoluten europäischen Spitzenfeld, woran auch eine allfällige Kürzung der Mindestsicherung nichts ändern wird.
Migrationsdilemma
Die Migrationskrise von 2015/16 hat die politische Landschaft verändert. SPÖ und Grüne verfochten lange Zeit eine Politik der offenen Grenzen, beide Parteien verharmlosten die mit der (mangelnden) Integration einhergehenden Probleme. Der damalige Bundeskanzler Werner Faymann orientierte sich an Angela „Wir schaffen das“Merkel und opponierte gegen jegliche Restriktion der Zuwanderung.
Die in Wien mit Hilfe der Grünen dominierende SPÖ verschlief die Entwicklung des konservativen bis radikalen Islams in Wiener Einwanderungsbezirken, vor allem in den dortigen Schulen. Die Stadtregierung ließ radikale Kräfte lange gewähren, auch weil diese den Roten Stimmen brachten, unter anderem aus der türkischstämmigen Community. Der Erfolg der ÖVP und der FPÖ bei der Nationalratswahl ist nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass diese beiden Parteien in diesen Fragen eine restriktive Politik befürworten.
Intrigen
In den Monaten vor der Nationalratswahl intrigierten die Grünen ihre Parteichefin Eva Glawischnig aus ihrem Amt und den altgedienten Mandatar Peter Pilz von der Wahlliste. Die Folgen sind bekannt. In Kärnten schafften es die Grünen, sich zu spalten, und flogen folgerichtig aus dem Landtag. Und die Intrigenspiele gehen munter weiter. In Wien warf Maria Vassilakou nach internen Widerständen soeben das Handtuch. Beim Wahlprozess, der ihre Nachfolge regeln soll, kam es zu gezielten Indiskretionen: Gegen die Vereinbarung wurden einzelne Interessierte geoutet, die sich als Wähler registriert hatten. So geht das Vertrauen der Bürger verloren.
Und auch die SPÖ beschädigte sich soeben durch eine Intrige selbst. Übelmeinende Parteifreunde ließen den von Parteichef Christian Kern geplanten Wechsel ins EU-Parlament vorzeitig an die Medien durchsickern, aus dem vermeintlichen Scoop wurde ein PRDesaster, die SPÖ steht führungslos da. Schon Kerns Vorgänger Werner Faymann wurde aus dem Amt intrigiert. Das Pfeifkonzert beim Maiaufmarsch 2016, das Faymann zum Rückzug bewog, wurde von einer kleinen Gruppe orchestriert.
Glaubwürdigkeitskrise
Dass die grüne Ex-Parteichefin Eva Glawischnig ausgerechnet zum Glücksspielkonzern Novomatic wechselte, trug nicht zur Glaubwürdigkeit ihrer Partei bei. Die Sozialdemokratie wieder ist damit konfrontiert, dass ihre Parteichefs wie Alfred Gusenbauer oder – in Deutschland – Gerhard Schröder nach ihrem Abgang mit dubiosen Autokraten gute Geschäfte machen.
Hoffnung?
Österreich verfügt über einen grünen Bundespräsidenten. Innsbruck seit Kurzem über einen grünen Bürgermeister. In etlichen Bundesländern tragen die Grünen RegierungsMitverantwortung. Der grüne Nachlassverwalter Werner Kogler müht sich redlich um die Neuaufstellung seiner Partei. Die grüne Bewegung ist also nach wie vor existent.
Und die SPÖ? Sie hat seit Samstag nicht nur eine neue öffentlichkeitswirksame Vorsitzende, sie verpasst sich in diesen Wochen auch ein neues Parteiprogramm und ein moderneres Parteistatut. Immer noch verfügt die Sozialdemokratie über machtvolle Strukturen, beispielsweise im ÖGB. Die nächsten Nationalratswahlen finden erst in vier Jahren statt. Die Linksparteien haben also alle Zeit der Welt, sich neu zu erfinden.