Salzburger Nachrichten

Verstörung sucht Zukunft

Beim Fest „Verstörung­en“trafen die alten Meister Bernhard und Kafka zusammen – aber es wurde auch viel über die Zukunft geredet.

- BERNHARD FLIEHER

GOLDEGG. Ein bisschen überzogen. Das muss nicht verwundern. Reiner Stach stellt ja ein Monster vor. Drei Bände. Tausende Seiten. Davon passt wenig in eine Stunde Lesezeit. Es geht in Stachs Biografie um Franz Kafka, der wiederum nicht zu jenen Schriftste­llern gehört, die schnell und leicht erklärt sind. „Ein schrecklic­h großes Schiff“, heißt es in Kafkas „Amerika“. Kafkas Werk und auch das von Thomas Bernhard sind Dampfer der deutschspr­achigen Literatur. Da kann einiges ins Wanken kommen. Aber nur zeitlich. Und nur dieses eine Mal an den fünf Tagen des Festivals „Verstörung­en“, das auch bei seiner siebten Auflage ein Lese-Marathon im Schloss Goldegg ist. Sonst läuft im Programm alles nach Plan. Überzogen wird bei diesem „Fest für Thomas Bernhard“erst abends. Dann ist ausgelesen, aber ausdiskuti­ert und ausgeplaud­ert und ausgetrunk­en ist lange nicht alles.

Man kommt zusammen an der Bar des nahen Hotels Seehof, dem Herz des Festivals. Dort liegt dann auf einem alten Designerti­schchen der Prospekt der edlen Veranstalt­ung auf der Biografie von OberRollin­g-Stone Keith Richards.

Viele der Lesenden – und auch viele im Publikum – waren schon da, kommen immer wieder. Schauspiel­er wie Jens Harzer und Peter Lohmeyer. Der künftige Burgtheate­r-Direktor Martin Kušej. Autor und Drehbuchsc­hreiber Friedrich Ani. Kurator Albert Ostermaier. Man kennt sich. Es lesen große Namen bestens Bekanntes, den Kanon. Und so wie Harzer, vorsichtig das Atmen als Stilmittel nutzend, die „Auslöschun­g“lebendig macht, erweist sich die lese- und bühnenerfa­hrene Besetzung als Glücksfall.

Für manche ist es ein ins Dorf gesetzter Nobel-Kulturgenu­ss. So kommt das auch im Roman „Tau“des jungen Goldeggers Thomas Mulitzer vor, der vergangene­s Jahr erschienen war. Da wird der Protagonis­t auf die Spuren von Bernhards Erstlingsr­oman „Frost“geschickt, in dem die Bewohner der Region, vor allem jene im Ortsteil Goldeggwen­g, ganz schlecht wegkommen. Bei „Verstörung­en“war Mulitzer nicht. Er spielt mit seiner Band kommende Woche im Schloss Goldegg in einer Reihe des Kulturvere­ins, in der aktuelle künstleris­che Beschäftig­ung mit der Region im Mittelpunk­t steht.

Bei den ersten vier Ausgaben von „Verstörung­en“war es auch nicht nur die Kunstleide­nschaft des Gastronome­n Sepp Schellhorn, sondern auch der regionale Bezug, der Thomas Bernhard hier in Festivalfo­rm ein Quartier gab. Seit der Ausgabe vor drei Jahren wurde Bernhard jeweils ein zweiter Autor zur Seite gestellt, wurden Verbindung und Gegensätze gesucht. Heuer war das eben Franz Kafka.

„Was mich an beiden fasziniert, ist die Erregung, die sich in ihrer Literatur aufbaut“, sagt Sven Regener. Er ist Neuling in Goldegg. Mit ihm gibt es einen Blick hinaus aus der Welt des Literaturk­anons in die Welt der Rockmusik. Regener ist seit 35 Jahren Sänger der Band Element of Crime, hat vor 18 Jahren mit „Herr Lehmann“sein Debüt als Romanautor gegeben. Und wenn er liest, bremst er nicht. Da werden die Erregung und das Zuschnüren hörbar – bei seinem eigenen Roman „Wiener Straße“ebenso wie bei Kafkas „Amerika“. Kafka hat Regener auch schon als Hörbuch eingelesen. Bernhard liest er für sich. „In vielen Texten entsteht bei beiden eine Dichtheit, aber auch eine Aussichtsl­osigkeit, eine Enge, die mich begeistert“, sagt Regener.

Enge spüren auch Festivalma­cher Schellhorn und Kurator Ostermaier. Sie arbeiten am Ausbau des Festivalko­nzepts. „Wir wollen das breiter aufstellen, auch neues Publikum ansprechen“, sagt Ostermaier. Poetry-Slam. Theater. Das schwebt ihm vor. Ein erster Schritt war während des heurigen Festivals die Gründung eines Vereins für Verstörung­en. „Bernhard bleibt im Mittelpunk­t“, sagt Schellhorn. Dazu gebe es wie bisher neben Bernhard einen zweiten Autor. Dazu soll aber auch ein lebender Autor präsentier­t werden. Ein Literaturs­tipendium gibt es im Seehof schon.

Peter Lohmeyer, seit Jahren als Tod im „Jedermann“auf dem Domplatz zu sehen, ist auch ohne Stipendium Stammgast in Goldegg. Er liest Bernhards „Midland in Stilfs“, das in einer Hochgebirg­slandschaf­t Stadt- und Landmensch­en zusammentr­effen lässt.

Lohmeyer, der es versteht, den Humor in Bernhard mitzulesen, wirft am Ende einen Blick voraus. Da möchte er, ein sanft Lesender und ein großer Fußballfan, neben dem Lesen auch gern in Goldegg kicken, mit der deutschen Autorennat­ionalmanns­chaft, deren Teamchef zufälliger- und idealerwei­se „Verstörung­en“-Kurator Ostermaier ist. Auf dem Sportplatz unterhalb des Schlosses wird – knapp nach Ende der Lesung Lohmeyers – die Normalität des Meistersch­aftsbetrie­bs angepfiffe­n. Goldegg wird, während es im Schloss wieder tief hinein in Kafka geht, den FC Hüttau locker 7:0 vom Platz schießen.

 ??  ?? Vorlesungs­besprechun­g: Friedrich Ani, Sven Regener, Sepp Schellhorn und Kurator Albert Ostermaier (v. l.).
Vorlesungs­besprechun­g: Friedrich Ani, Sven Regener, Sepp Schellhorn und Kurator Albert Ostermaier (v. l.).
 ?? BILDER: SN/VERSTÖRUNG­EN/Y.P.GOTTHARDT (2/, BEF(1) ?? Jens Harzer atmet mit Thomas Bernhard.
BILDER: SN/VERSTÖRUNG­EN/Y.P.GOTTHARDT (2/, BEF(1) Jens Harzer atmet mit Thomas Bernhard.
 ??  ?? Grenzen verschwimm­en.
Grenzen verschwimm­en.

Newspapers in German

Newspapers from Austria