Donau-Operette in Salzburg: Wean, du bist a Taschenfeitel
Bei der Inszenierung von „Wiener Blut“am Salzburger Landestheater werden auch dunkle Seiten offengelegt.
SALZBURG. Am Würstelstand in der Vorstadt sinnieren ein Kutscher und ein Karussellkönig über das Dasein. Sie stimmen Gerhard Bronners Anti-Weanerlied „A Krügerl, a Glaserl, a Stamperl, a Tröpferl“an. Der Alkohol lockert die Zunge. Die Gattin daheim, die kann was erleben. Vollrausch und häusliche Gewalt sind Waffenbrüder. Helmut Qualtinger und Kurt Sowinetz blicken aus einem Himmel voller Schädelweh hinab auf die Wiener Strizzis. Ein Lookalike der Jung-Autorin Stefanie Sargnagel sitzt daneben und besorgt sich – an ihrer roten Kappe sollt ihr sie erkennen! – kettenrauchend neuen Schreibstoff.
Eigentlich wird die Operette „Wiener Blut“gegeben, mit der das Salzburger Landestheater seine Musiktheater-Saison eröffnet. Aber schon die Textdichter Victor Léon und Leo Stein griffen nur auf Melodien von Johann Strauß Sohn zurück, um daraus am Vorabend der Jahrhundertwende ein szenisches Werk zu schmieden. Im Landestheater ist nun die Einlege-Arie „Wean, du bist a Taschenfeitel“zu hören, mit der André Heller seiner Stadt in den 1970er-Jahren ein ungeschminktes Denkmal gesetzt hat. Sascha Oskar Weis scheint als Wiener Original eine Lebensrolle gefunden zu haben: Sein Karussellbesitzer Kagler taumelt zwischen aggressiver Lebenslust und weinerlichem Selbstmitleid und scheint damit dem „echten Wiener“Mundl Sackbauer näher als den Schablonen des Operetten-Originals. Regisseur Marco Dott entlarvt die Wiener Scheinmoral in diesem finalen dritten Akt schonungslos, der für das brave Ausstattungstheater vor der Pause entschädigt. In Sachen Handlung geht es freilich um gar nichts: Die Geschichte von Balduin Graf Zedlau und dessen ungezähmter Libido ist nur der Aufhänger für die unsterblichen StraußMelodien. Christian Floerens Bühne erleichtert Auf- und Abtritte des Lustspiel-Personals.
Franz Supper gibt den blaublütigen Schürzenjäger mit noblem Charme und heldischem Tenorschmelz. Die drei Frauen seiner Wahl sind – von Conny Lüders in edle Ballkostüme gehüllt – großartig besetzt: Als Operetten-Fachkraft brilliert Ilia Staple, deren strahlende Höhe mühelos in sägendes Dröhnen der notorischen Keifzange Franziska Cagliari wechselt. AnneFleur Werner wirkt als Gräfin Gabriele im ungewohnten OperettenUmfeld etwas zurückhaltender als sonst. Wenn sie aber ihren warmen, geschmeidigen Sopran strömen lässt, dann schmilzt man dahin und fühlt sich unweigerlich an ihre Darstellung einer anderen unglücklichen Gräfin erinnert – jener von und zu Almaviva aus Mozarts „Figaro“. Tamara Ivanis schließlich verleiht der Pepi Pleininger nicht nur stimmlichen Soubrettenglanz, sie beweist auch Selbstironie in einem herrlich schiefen Ballett-Auftritt. Alexander Hüttner ist als hochkomödiantischer gräflicher Assistent diesem süßen Mädel längst verfallen. Axel Meinhardts berlinernder Premierminister und Michael Schobers markanter Fiakerkutscher komplettieren das spiellustige Ensemble.
Das Mozarteumorchester ist in Geberlaune und reichert Strauß’ Musik mit spätromantischer Klangfülle und tänzerischer Eleganz an. Schade nur, dass Dirigent Robin Davis die Lautstärke im Orchestergraben nicht besser zu drosseln weiß – das einzige musikalische Manko eines zu Recht bejubelten Abends. Die längst fällige Wiedergeburt der Wiener Operette im Landestheater ist jedenfalls geglückt.