„Meine Arbeitskraft hat nachgelassen“
Der Ex-Aktionist Günter Brus plant nach einer Schaffenspause neue Zeichnungen. Die Dominanz des Kunsthandels bedauert er.
Ein Ausstellungsreigen umrahmt den 80. Geburtstag, den der aus Ardning in der Steiermark stammende Künstler Günter Brus morgen, Donnerstag, feiert. Die SN sprachen mit dem Ex-Aktionisten, der über Jahrzehnte vom gerichtlich verfolgten Staatsfeind zum gefeierten Staatspreisträger mutierte.
SN: Es gibt Leute, die mögen Jubiläen sehr, andere hassen sie. Wo ordnen Sie sich ein? Günter Brus: Mir sind Jubiläen – private wie offizielle – eher fremd. Ich bin von Geburtstagen nicht besonders begeistert, weiß aber, dass Zahlen faszinieren. Zahlen mit der 8 wie in meinem Fall: 1938, 1968, 2018, das ergibt dann 80 Jahre. In einem Alter wie diesem steht man eigentlich schon vor der Grube. Ich spüre das Alter körperlich, meine Arbeitskraft hat nachgelassen.
SN: Haben Sie das Zeichnen aufgegeben? Ich habe es eine Zeit lang ruhen lassen, aber im Hinterkopf gibt es doch noch Ideen für einige neue Zeichnungen und Texte. Das soll ein Buchprojekt werden, ist aber derzeit noch nicht spruchreif.
SN: Sie wurden einst von Medien und dem Staat verfolgt, heute geehrt und gewürdigt. Ist das immer noch ungewöhnlich oder haben Sie sich daran gewöhnt? Es ist im Laufe der Jahre zur Normalität geworden. Deshalb gibt es auch keine Gefühle der Genugtuung mehr. Der Wiener Aktionismus wird international als das wichtigste Ereignis in der österreichischen Kunst des 20. Jahrhundert wahrgenommen. Wir haben sicher wegweisende Dinge gemacht, an denen auch junge Künstler verzweifelt sind. „Was sollen wir jetzt denn noch tun?“, haben einige gesagt.
SN: Rudolf Schwarzkogler und Otto Muehl sind tot. Haben Sie mit Hermann Nitsch noch Kontakt? Ohne einen besonderen Anlass habe ich keinen Grund, ihn zu kontaktieren. Wenn ich ihn treffe, gehen wir freundlich miteinander um. Ich habe kein schlechtes Verhältnis zu ihm. Wenn ich seine Aktionen nicht besuche, dann weil mir das Reisen zu anstrengend geworden ist.
SN: Ihre letzte Aktion hieß „Zerreißprobe“. Ein Wort, das heute von Journalisten inflationär gebraucht wird: immer, wenn es in Parteien oder Regierungen unterschiedliche Meinungen gibt. Müssen Sie da nicht schmunzeln? Das war damals, 1970, schon so. Deshalb habe ich ja den Titel auch gewählt. Da gibt es viele Lieblingsbegriffe von Journalisten. Wenn irgendwo ein Bach übergeht, ist gleich von einer Sintflut die Rede. Mit der Zerreißprobe habe ich jedenfalls die Grenze zum ExtremAktionismus deutlich überschritten. Ich wusste, so kann ich nicht weitermachen, das würde mein Leben gefährden.
SN: Hatten Sie damals schon Pläne für weitere Aktionen? Ja, es gab einige Skizzenblätter. Geplant war etwa, einen Silbernagel durch meinen Fuß zu treiben, und ein Brett daran zu befestigen. Damit wäre ich dann spazieren gegangen. Nach mehreren Gesprächen mit meiner Frau Anni habe ich das aber sein lassen und mich ausschließlich dem Zeichnen zugewandt.
SN: Was ist für Sie wichtiger? Der Aktionismus oder das Zeichnen, die Bilddichtungen? Ich glaube, das kann man so nicht beantworten. Beides war wichtig. Der Aktionismus war zeitlich ja eine kurze Phase, keine zehn Jahre, es war alles sehr umkämpft. Mein Zeichnen hat dann allgemein Erstaunen ausgelöst, wobei viele vergessen, dass auch der Nitsch oder Joseph Beuys nach den Aktionen zu zeichnen begannen. Nitsch und Muehl waren eigentlich immer theatralisch orientiert, haben Dinge von mir übernommen. Lustig bis lästig ist es, wenn ich heute über meine angeblichen Performances von damals befragt werde. Das Wort habe ich nie verwendet. Ich habe Aktionen gemacht. Basta.
SN: Sie entwickelten sich von der Malerei zur Aktion, der Körper wurde zur Leinwand,
die Farbe war Ihr Blut ... Ja, traditionelle Farben sind in diesem Übergang allmählich verschwunden und wurden durch Körpersäfte ersetzt. Es gab aber auch Aktionen, etwa „Transfusion“, bei der die Farbe Rot als Reizfarbe bewusst eingesetzt worden ist. Aber es gab keine Leinwand mehr, ich wollte ja neue Wege gehen.
SN: Wenn Sie den Kunstbetrieb der 1960er-Jahre mit dem heute vergleichen: Was sind die größten Veränderungen? Heute ist der globale Handel mit Kunst sehr stark in den Vordergrund getreten. Zu unserer Zeit gab es in Wien gerade einmal drei, vier Galerien. Heute gibt es Dutzende. Junge Künstler werden daher schneller einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Aber dennoch überwiegen die Nachteile dieser Entwicklung.
SN: Was meinen Sie damit konkret? So manchem Pfuscher in der Kunst wird es heute sehr leicht gemacht. Ein bisschen mehr Widerstand täte ganz gut, denn der Markt und der Handel werden immer mächtiger, dazu kommt noch die Macht der Kuratoren und das alles überdeckt vereinzelt schon die Kunst.
SN: In Graz gab es zuletzt Überlegungen, im Forum Stadtpark ein Café anzusiedeln. Was halten Sie davon? Warum nicht? Ich bin da bei der Politik. Welche großen Ausstellungen passieren da? Ich bekomme nichts mit. Die Institution ist in den vergangenen Jahren an mir vorbeigegangen – vielleicht war es aber auch umgekehrt.
SN: Was sagt Ihnen der neue steirische herbst? Da wird Österreich mit einem antiquierten Programm wieder zum Nazi-Land. Grauenhaft. Kunst muss Flagge zeigen, aber es gibt keinen Grund für große Proteste. Kanzler Kurz hat die FPÖ kurzgehalten, nur Innenminister Herbert Kickl spaziert an der Grenze des Ertragbaren.
Ausstellungen: „Wie mit dem Skalpell – Die Aktionszeichnungen des Günter Brus, Bruseum Graz, bis 27. 1. 2019; „Wundunculum“, Günter Brus und Dieter Roth, Kunsthaus Mürzzuschlag, bis 21. 10.; Günter Brus, Personale, Galerie Kunst & Handel, Graz, bis 27. 10.