„Angelo“: Ewiges Leiden an den Blicken der anderen
Er war der historisch berühmteste Österreicher: Angelo Soliman. Beim Filmfestival in San Sebastián hat nun Markus Schleinzers Film „Angelo“eine umstrittene Premiere gefeiert.
Solimans Leichnam wurde ausgestellt
SAN SEBASTIÁN. Judi Dench wird geehrt, der japanische Meister Hirokazu Kore-eda bekommt den Preis fürs Lebenswerk, Ryan Gosling schaut ebenso vorbei wie Chris Hemsworth: Das traditionsreiche San-Sebastián-Filmfestival, das derzeit im baskischen Norden Spaniens stattfindet, zeigt Höhepunkte des bisherigen Festivaljahrs neben spanischsprachigen Neuproduktionen. Auch der Wettbewerb ist prestigeträchtig. Seine Europa-Premieren machen jedes Jahr noch lange von sich reden. Heuer ist etwa Claire Denis’ Science-Fiction-Film „High Life“mit Robert Pattinson und Juliette Binoche im Rennen, der nach ersten Kritiken dermaßen schräg sein muss, dass die Neugierde fast unermesslich ist. Auch Peter Stricklands „In Fabric“tritt im Bewerb an, eine vergnügliche HorrorHommage im Boutiquenmilieu.
Naomi Kawase, Icíar Bollaín, Louis Garrel: Die Regienamen sind für ein mittelgroßes Festival angemessen prominent. Und dann ist da noch ein österreichischer Beitrag: „Angelo“von Markus Schleinzer, der letzte Woche seine Weltpremiere in Toronto gefeiert hatte, ist ebenfalls Wettbewerbskandidat.
Es ist, nach Barbara Alberts „Licht“im Vorjahr und Jessica Hausners „Amour Fou“2015, das dritte österreichische Kostümdrama innerhalb kurzer Zeit, und inhaltlich das bekannteste. „Angelo“orientiert sich nämlich an der Biografie des berühmtesten historischen schwarzen Österreichers, Angelo Soliman, der als Kind in den 1820erJahren geraubt, als Sklave nach Messina gebracht und von einer Marquise gekauft und erzogen wurde. Später wurde er dem Fürsten von Lobkowitz geschenkt, wurde in Wien Kammerdiener, Prinzenerzieher, Freimaurer, heiratete und bekam eine Tochter. Und, entsetzlichstes Detail einer bewegten Biografie, nach seinem Tod wurde sein Leichnam präpariert und im Naturhistorischen Museum ausgestellt. Schleinzer hat für den Film zwar die Beratung eines Historikers in Anspruch genommen, entzieht sich dem Anspruch historischer Authentizität, indem er anachronistische Details einbaut, etwa Neonleuchten. Die Figur Angelo ist eine Projektionsfläche für weiße europäische Exotismusfantasien, was wohl auch der historische Angelo Soliman war. Doch der Film negiert Angelos eigenes Erleben fast völlig, sondern beobachtet aus der Ferne, wie sich weiße Europäerinnen und Europäer zu ihm verhalten. Angelo bleibt eine Metapher für das „andere“, die spezifische Geschichte des Angelo Soliman bleibt unerzählt.
In diese Richtung gehen auch die Kommentare der Festivalkritiker: „Bleibt nicht im Gedächtnis“, schreibt einer, „nur vorgeblich künstlerisch und originell“ein anderer. Die Historikerin Vanessa Spanbauer, derzeit befasst mit dem Forschungsprojekt „Blackening Vienna“, sagt dazu: „Über die ersten Jahre von Angelo Soliman wissen wir nicht viel, da ist kreative Freiheit verständlich. Bei seinem Lebensende ist das aber anders, und hier verfälscht der Film das, was wir wissen. ,Angelo‘ verpasst da die Gelegenheit, relevant zu sein, und das ist schade.“
Ob die Jury Schleinzers Film preiswürdig findet, wird sich am Samstagabend herausstellen.