Von der Komfortzone sind beim Zeitfahren alle weit entfernt
Radprofi Bernhard Eisel schreibt in den SN über die unglaublichen Belastungen bei einem Einzelzeitfahren, seine Favoriten und die Gefahren der WM-Strecke in Tirol.
Das Einzelzeitfahren ist eine echte Besonderheit – denn man muss dafür geboren sein, das zu mögen, als Athlet. Eine Stunde lang tritt jeder heute auf dem 15.000-EuroSpezialrad, „Zeitfahrmaschine“genannt, in die Pedale. Wir reden hier nicht von Komfortzone, da radeln alle am Anschlag. Spaß macht das keinem über die 52,5 Kilometer. Selbst bergab hat man so ein großes Kettenblatt, dass man noch Tempo machen kann. Das Interessante: Im Prinzip könnte man vorher die Siegerzeit kalkulieren, weil man weiß, wie viel Watt man treten muss.
Ohne zu sehr ins Detail zu gehen: Jeder, der daheim einen Hometrainer hat, kann einmal probieren, mit 400 Watt (mit einer Frequenz zwischen 90 und 100 Umdrehungen) zu treten und sich dann vorstellen, das eine Stunde lang zu tun. Und mit dieser Leistung wird man heute noch keine Medaille machen. Dabei ist bei den Besten der Szene alles abgestimmt: Die Sitzposition im Windkanal, die nie bequem ist, sondern nur durch viel Training Gewohnheit wird. Weil es darum geht, alles eng zu halten, dem Wind keine Angriffsfläche zu bieten. Die Form des Helms (ob man mit langem oder kurzem Spitz fährt, zum Beispiel) hängt davon ab, wie ruhig man den Kopf bei voller Belastung halten kann. Teile am Rad wurden etwa beim Team Sky schon am 3D-Drucker entwickelt und verfeinert, ehe sie in Karbon nachgebaut und eingesetzt werden.
Was ich oft gefragt werde: Warum radelt man schon vor dem Start so viel? Ganz einfach: Der Körper muss sich an die Belastung gewöhnen. Wir haben einen Spruch: Lass den Schmerz zu dir kommen, suche ihn nicht! Er kommt ohnehin. Soll heißen: Es tut früher oder später weh. Zu frühes Überdrehen ist Gift, da kommt der Mann mit dem Hammer schnell. Das gilt übrigens auch für Hobbyradler am Berg. Lieber soll man es unten am Beginn des Steilstücks langsamer angehen, statt versuchen, das Tempo aus dem Flachen zu halten. So macht es mehr Spaß. Und keine Sorge: Weh tun wird es trotzdem, die Frage ist nur, ab wann und wie sehr. Für alle Zeitfahrer gilt das zu hundert Prozent. Wer seine Grenzen am besten verschiebt, holt Gold.
Mein Favorit ist der Niederländer Tom Dumoulin, im Normalfall machen sich die letzten sechs, sieben der Startliste den Titel aus. Selbst die Steigung in Gnadenwald, die, wie ich aus eigener Erfahrung weiß, mit über zehn Prozent ordentlich ist, sollte keinen der Stars aus dem Konzept bringen. Georg Preidler gebe ich auf diesem schweren Kurs Außenseiterchancen. Aber man sollte speziell im Zeitfahren nicht vergessen: Ein Platz in den Top 10 oder gar Top 15, das ist echte Weltspitze!