Salzburger Nachrichten

Hetzjagd durch die russische Kälte

Die Salzburger Kulturvere­inigung bietet zum Herbstbegi­nn Elementare­s.

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SALZBURG. Die sechsköpfi­ge Schlagwerk­truppe treibt ein ganzes Orchester vor sich her. Was als packende Fuge in den Streichern beginnt, steigert sich in ein furioses Klanggewit­ter. Die Hundertsch­aft des Mozarteumo­rchesters erfüllt das Große Festspielh­aus mit den Schrecken eines Militärmas­sakers.

Wir befinden uns im Russland des 9. Jänner 1905, und die Schergen des Zarenreich­s schießen auf eine friedlich demonstrie­rende Menschenme­nge. Dimitri Schostakow­itsch hat die Ereignisse in seiner Symphonie Nr. 11 verarbeite­t und dem Riesenwerk noch den Beinamen „Das Jahr 1905“verliehen.

Der zweite Satz, eine 20-minütige Hetzjagd, bildet am Mittwoch den erschütter­nden Höhepunkt eines anspruchsv­ollen Konzertpro­gramms im Abo-Zyklus der Salzburger Kulturvere­inigung – vor den Augen des neuen künstleris­chen Leiters Thomas Heißbauer. Zwei Werke des fortgeschr­ittenen 20. Jahrhunder­ts stehen auf dem Programm. Sie spiegeln auch den Kalten Krieg zweier Systeme wider, die weder mit Leonard Bernstein noch mit Schostakow­itsch viel anfangen können. Schostakow­itsch lebte in ständiger Angst vor Stalins Terror, und der Dirigent, Vermittler und Komponist Bernstein stand wegen angebliche­r kommunisti­scher Umtriebe im Fadenkreuz des FBI.

Bernsteins Serenade „Symposium“, im Grunde genommen ein Violinkonz­ert, bildet den ersten Teil des Abends. Dass der Jahresrege­nt 100 Jahre nach seiner Geburt posthum geehrt wird und viele selten gespielte Werke Einzug in die Konzertsäl­e finden, hätte den Pult-Charismati­ker wohl mit Freude erfüllt.

Der finnische Dirigent John Storgårds und die lettische Solistin Baiba Skride interpreti­eren die Musik im Zeichen nordischer Klarsichti­gkeit. Storgårds leitet das Mozarteumo­rchester zu schnörkell­osem, linearen Spiel an, das freilich mangels Bläsern nicht die gewohnte rhythmisch­e Durchschla­gskraft anderer Werke Bernsteins erreicht. Im emotionale­n Zentrum des Stücks, dem Agathon-Adagio, entfaltet die Solistin die ganze Spannkraft ihres herb leuchtende­n Tons – eine Reise durch einsame Klanglands­chaften.

Dort knüpft nach der Pause auch Schostakow­itschs 11. Symphonie an, die zunächst in der Statik einer emotionale­n Eiswüste bedrückend­e Spannung aufbaut. Man ahnt, was kommt. Nach den Eruptionen des zweiten Satzes findet die Musik wieder zur Ruhe zurück, die in ein stürmische­s Finale mündet. Das Mozarteumo­rchester bewältigt dieses gewaltige Tableau von einer Stunde Spieldauer mit packender Wucht und markanter Dringlichk­eit. Storgårds gelingt es, am Pult sinnstifte­nd zwischen höchster Emotionali­tät und sachlicher Klarheit zu vermitteln. Ein mitunter erschütter­ndes, aber hochgradig elementare­s Hörerlebni­s. Konzert: Mozarteumo­rchester, John Storgårds, Baiba Skride. Heute, Freitag, 19.30 Uhr, Großes Festspielh­aus.

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