Taxichoreographie steuert das Abenteuer Alltag an
Ein Taxifahrer, der plötzlich stoppt, zur Gitarre greift und – in der Hoffnung auf den ganz großen Durchbruch – stimmgewaltig eine Eigenkomposition vorträgt? Ist nicht nur in Nashville, sondern auch in Graz möglich, wo das Theater im Bahnhof (TiB) im steirischen herbst zu „Hier war ich noch nie. Eine Taxichoreographie“einlädt. Sechs Taxler – männliche und weibliche – offerieren Rundfahrten durch die Stadt, doch in Wahrheit sind es Reisen zu den jeweiligen Persönlichkeiten.
Zum Taxi-Veteranen Werner etwa, der auf die Rolling Stones steht und nicht nur einiges über eine legendäre Punk-Unterkunft weiß. Oder zum sensiblen Ahmet, der die Wartezeiten zum Schreiben nutzt und in der neuen TiB-Produktion den Insassen mit viel Herzblut ein Liebesgedicht vorträgt. „Ich mag meinen Job“, sagt Ahmet, der durch seine Fahrgäste kreativ inspiriert wird. Das Sextett gibt die Richtung vor, kutschiert die Theaterbesucherinnen durch das nächtliche Graz – man kann auf dem Kalvarienberg ebenso landen wie an Stätten der Bauspekulation oder im Bordell. Die Begegnungen mit ungewöhnlichen Orten vermengen sich mit solchen mit bislang unbekannten Menschen. Das dramaturgische Konzept von Helmut Köpping und Gabriela Hiti macht das Fahrzeuginnere zu einem performativen Raum, während die Stadt außen vorbeihuscht. So manche poetische Szenerie entsteht, wenn hinter der Fassade des Dienstleisters das Innere eines Menschen ebenso zu leuchten beginnt wie die Neonreklamen in der urbanen Finsternis.
Man redet nicht – wie sonst üblich – über das Wetter oder den Verkehr, sondern über die privaten Leidenschaften der Chauffeure. „Hier war ich noch nie“ist eine intime Miniatur, die das Genre Theater auf unspektakuläre Weise imposant erweitert. Man steuert im dritten Gang auf das schillernde Abenteuer Alltag zu. Martin Behr