Generationen von Gläubigen vor den Kopf gestoßen In der Kirche müssen Recht und Gerechtigkeit gelten
Der massive sexuelle Missbrauch von Kindern durch Priester hat eine tiefe Kluft aufgerissen. Wie kann Vertrauen neu entstehen?
Ein 19-jähriger angehender Erzieher ist dieser Tage in Bamberg wegen sexuellen Missbrauchs an Kindern zu einer Haftstrafe von vier Jahren und zehn Monaten verurteilt worden. Das Landgericht Bamberg sah es als erwiesen an, dass sich der Auszubildende in 13 Fällen an Kindern vergangen hatte. Eltern hatten im November Anzeige erstattet. Der junge Mann wurde nach Jugendstrafrecht verurteilt.
Dieser Fall spiegelt das heutige Rechtsverständnis, wie mit dem Missbrauch von Minderjährigen verfahren werden muss. Mit null Toleranz. Sind doch die seelischen Wunden, die den jungen Menschen zugefügt werden, eine schwere Belastung oft für das ganze Leben.
Setzt man dazu in Relation, wie Tausende Priester, Bischöfe und Kardinäle der römisch-katholischen Kirche in den vergangenen 50 Jahren mit sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlichen umgegangen sind, dann wird die ganze Ungeheuerlichkeit dieses systemischen Fehlverhaltens deutlich. Der Vertrauensbruch, der durch die Täter selbst, mehr aber noch durch die Mitwisser, Wegschauer und Vertuscher geschehen ist, hat sich tief in die Seele von mindestens drei Generationen hineingefressen: in die Generation jener Eltern, die meinten, ihren Kindern in – angesehenen! – katholischen Privatschulen die beste Bildung zu bieten; in die Generation jener Kinder und Jugendlichen, die durch Missbrauch zutiefst verletzt wurden; und in die nachfolgende Generation, die langsam die Tragweite des Skandals mitbekommt und sich getäuscht fühlt.
So wie die katholische Kirche im 19. Jahrhundert die Arbeiterschaft verloren hat, hat sie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts genau jene Klientel vor den Kopf gestoßen, die in Sonntagspredigten so hochgehalten wird: die Familien. Es wird so wie bei der Arbeiterschaft auch bei den Familien zwei, drei Generationen dauern, bis diese Entfremdung aufgehoben werden kann.
Drei Fakten haben den jahrzehntelangen Missbrauch zum größten anzunehmenden Vertrauensbruch der Kirche mit ihren Gläubigen gemacht. Erstens, dass der Schutz der Institution und der geweihten Täter über den Opferschutz gestellt wurde. Zweitens, dass sich die zahlenmäßige Wucht der Missbrauchsfälle nicht mehr als Fehlverhalten von Einzelnen erklären lässt, sondern ihre Ursache in einem System hat, das pädophil veranlagte Männer angezogen und zu Tätern gemacht hat – von Österreich und Deutschland über Irland und Frankreich bis zu den USA und Australien. Drittens, dass die Kirche nicht von sich aus als Erste aufklärend tätig wurde, sondern durch die Öffentlichkeit darauf hingestoßen werden musste.
Daher ist bis heute trotz aller Bemühungen – von der bereits 2010 in Österreich eingerichteten KlasnicKommission bis zur diese Woche veröffentlichten Studie der Deutschen Bischofskonferenz – das Vertrauen gering, dass die Kirche aus eigener Kraft die Wende schafft. Der Missbrauchsbeauftragte der Bundesrepublik Deutschland meinte, der Staat dürfe die Kirche bei der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle „nicht alleinlassen“. Nötig seien Verträge zwischen Staat und Kirche, in denen etwa der Zugang zu Akten und Archiven geregelt werde.
Dass durch die Klasnic-Kommission in Österreich viele Opfer eine oft namhafte finanzielle Entschädigung erhalten haben, ist nur recht und billig. Das hebt aber das Unrecht nicht auf, dass um die Täter und ihre Mitwisser weithin der Mantel des Schweigens gehüllt wurde. Die Kirche steht vor der Herausforderung, den Menschen wieder glaubwürdig zu vermitteln, dass Recht und Gerechtigkeit in ihren Reihen gelten. Es kann nicht die Ausnahme, sondern es muss die Regel sein, dass bei begründetem Verdacht Anzeige erstattet und alles ans Licht der staatlichen Justiz gebracht wird. Das sind die Bischöfe zuallererst den Opfern schuldig, aber auch dem Ansehen jener großen Mehrheit von Priestern und Ordensleuten, die unter zunehmend extremen Anforderungen ihren wertvollen spirituellen Dienst tun.
Darüber hinaus geht es um nachhaltige Prävention und eine Kultur der Achtsamkeit, in der die Gefahr des Machtgefälles zwischen Erwachsenen und ihnen anvertrauten jungen Menschen offen angesprochen wird. Viele katholische Privatschulen haben dazu wegweisende pädagogische Konzepte erarbeitet. Sie sind die Biotope, in denen neues Vertrauen wachsen kann.