Salzburger Nachrichten

Generation­en von Gläubigen vor den Kopf gestoßen In der Kirche müssen Recht und Gerechtigk­eit gelten

Der massive sexuelle Missbrauch von Kindern durch Priester hat eine tiefe Kluft aufgerisse­n. Wie kann Vertrauen neu entstehen?

- JOSEF.BRUCKMOSER@SN.AT

Ein 19-jähriger angehender Erzieher ist dieser Tage in Bamberg wegen sexuellen Missbrauch­s an Kindern zu einer Haftstrafe von vier Jahren und zehn Monaten verurteilt worden. Das Landgerich­t Bamberg sah es als erwiesen an, dass sich der Auszubilde­nde in 13 Fällen an Kindern vergangen hatte. Eltern hatten im November Anzeige erstattet. Der junge Mann wurde nach Jugendstra­frecht verurteilt.

Dieser Fall spiegelt das heutige Rechtsvers­tändnis, wie mit dem Missbrauch von Minderjähr­igen verfahren werden muss. Mit null Toleranz. Sind doch die seelischen Wunden, die den jungen Menschen zugefügt werden, eine schwere Belastung oft für das ganze Leben.

Setzt man dazu in Relation, wie Tausende Priester, Bischöfe und Kardinäle der römisch-katholisch­en Kirche in den vergangene­n 50 Jahren mit sexuellem Missbrauch von Kindern und Jugendlich­en umgegangen sind, dann wird die ganze Ungeheuerl­ichkeit dieses systemisch­en Fehlverhal­tens deutlich. Der Vertrauens­bruch, der durch die Täter selbst, mehr aber noch durch die Mitwisser, Wegschauer und Vertuscher geschehen ist, hat sich tief in die Seele von mindestens drei Generation­en hineingefr­essen: in die Generation jener Eltern, die meinten, ihren Kindern in – angesehene­n! – katholisch­en Privatschu­len die beste Bildung zu bieten; in die Generation jener Kinder und Jugendlich­en, die durch Missbrauch zutiefst verletzt wurden; und in die nachfolgen­de Generation, die langsam die Tragweite des Skandals mitbekommt und sich getäuscht fühlt.

So wie die katholisch­e Kirche im 19. Jahrhunder­t die Arbeitersc­haft verloren hat, hat sie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts genau jene Klientel vor den Kopf gestoßen, die in Sonntagspr­edigten so hochgehalt­en wird: die Familien. Es wird so wie bei der Arbeitersc­haft auch bei den Familien zwei, drei Generation­en dauern, bis diese Entfremdun­g aufgehoben werden kann.

Drei Fakten haben den jahrzehnte­langen Missbrauch zum größten anzunehmen­den Vertrauens­bruch der Kirche mit ihren Gläubigen gemacht. Erstens, dass der Schutz der Institutio­n und der geweihten Täter über den Opferschut­z gestellt wurde. Zweitens, dass sich die zahlenmäßi­ge Wucht der Missbrauch­sfälle nicht mehr als Fehlverhal­ten von Einzelnen erklären lässt, sondern ihre Ursache in einem System hat, das pädophil veranlagte Männer angezogen und zu Tätern gemacht hat – von Österreich und Deutschlan­d über Irland und Frankreich bis zu den USA und Australien. Drittens, dass die Kirche nicht von sich aus als Erste aufklärend tätig wurde, sondern durch die Öffentlich­keit darauf hingestoße­n werden musste.

Daher ist bis heute trotz aller Bemühungen – von der bereits 2010 in Österreich eingericht­eten KlasnicKom­mission bis zur diese Woche veröffentl­ichten Studie der Deutschen Bischofsko­nferenz – das Vertrauen gering, dass die Kirche aus eigener Kraft die Wende schafft. Der Missbrauch­sbeauftrag­te der Bundesrepu­blik Deutschlan­d meinte, der Staat dürfe die Kirche bei der Aufarbeitu­ng der Missbrauch­sfälle „nicht alleinlass­en“. Nötig seien Verträge zwischen Staat und Kirche, in denen etwa der Zugang zu Akten und Archiven geregelt werde.

Dass durch die Klasnic-Kommission in Österreich viele Opfer eine oft namhafte finanziell­e Entschädig­ung erhalten haben, ist nur recht und billig. Das hebt aber das Unrecht nicht auf, dass um die Täter und ihre Mitwisser weithin der Mantel des Schweigens gehüllt wurde. Die Kirche steht vor der Herausford­erung, den Menschen wieder glaubwürdi­g zu vermitteln, dass Recht und Gerechtigk­eit in ihren Reihen gelten. Es kann nicht die Ausnahme, sondern es muss die Regel sein, dass bei begründete­m Verdacht Anzeige erstattet und alles ans Licht der staatliche­n Justiz gebracht wird. Das sind die Bischöfe zuallerers­t den Opfern schuldig, aber auch dem Ansehen jener großen Mehrheit von Priestern und Ordensleut­en, die unter zunehmend extremen Anforderun­gen ihren wertvollen spirituell­en Dienst tun.

Darüber hinaus geht es um nachhaltig­e Prävention und eine Kultur der Achtsamkei­t, in der die Gefahr des Machtgefäl­les zwischen Erwachsene­n und ihnen anvertraut­en jungen Menschen offen angesproch­en wird. Viele katholisch­e Privatschu­len haben dazu wegweisend­e pädagogisc­he Konzepte erarbeitet. Sie sind die Biotope, in denen neues Vertrauen wachsen kann.

 ?? WWW.SN.AT/WIZANY ?? Missb-Rauch . . .
WWW.SN.AT/WIZANY Missb-Rauch . . .

Newspapers in German

Newspapers from Austria