Ein schwieriger Besuch
Kanzlerin Merkel und Präsident Steinmeier forderten bei Erdoğans Visite in Berlin eine Lösung für in der Türkei inhaftierte Deutsche. Erdoğan aber pochte auf die Auslieferung mehrerer Türken.
„Wer nicht miteinander spricht, wird auch keine gemeinsamen Positionen finden“, sagte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel am Freitag in Berlin nach dem gemeinsamen Mittagessen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Doch obwohl das Gespräch eine halbe Stunde länger dauerte als geplant, waren sie nicht sonderlich erfolgreich beim Finden von gemeinsamen Positionen.
Ungewohnt deutlich ging Merkel auf die unterschiedlichen Auffassungen ein. Es gebe weiterhin „tiefgreifende Differenzen“, erklärte sie, insbesondere was die Lage der Pressefreiheit und der Menschenrechte betreffe. Bei der gemeinsamen Pressekonferenz von Merkel und Erdoğan wurde dann vor laufender Kamera ein Journalist abgeführt, der ein Shirt mit der Aufschrift „Freiheit für Journalisten in der Türkei“trug. Regierungssprecher Steffen Seibert verteidigte das Vorgehen der Ordner später: „Wir halten es bei Pressekonferenzen im Kanzleramt wie der Deutsche Bundestag: keine Demonstrationen oder Kundgebungen politischer Anliegen.“
Konkreten Gesprächsbedarf zwischen Berlin und Ankara gab es zum Fall des türkischen Journalisten Can Dündar. Der hatte 2015 über verdeckte Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes an die Terrormiliz IS berichtet. Daraufhin war er 2016 wegen Spionage, Verrat von Staatsgeheimnissen und Propaganda zu fünf Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt worden. Nach dem Urteil ging er ins deutsche Exil.
Nun fordert Ankara Dündars Auslieferung. Erdoğan verwies auf ein Auslieferungsabkommen zwischen den Ländern und versicherte, wenn Berlin um die Auslieferung eines rechtskräftig Verurteilten bäte, käme Ankara dem nach. Die Türkei hat in Berlin eine Liste mit insgesamt 69 Personen vorgelegt, deren Auslieferung sie fordert. Die Liste enthält die genauen Adressen sowie Fotos der Gesuchten vor ihren Häusern. Weiterhin forderte Erdoğan einen entschlosseneren Kampf gegen den Terrorismus. In Deutschland würden sich Tausende Mitglieder der kurdischen PKK sowie Hunderte Anhänger der Gülen-Bewegung aufhalten. Merkel machte deutlich, dass die PKK in Deutschland verboten sei. Im Falle der Gülen-Bewegung brauche sie mehr Informationen. Erdoğan macht die Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen für den Putschversuch vor zwei Jahren verantwortlich.
Ähnliche Differenzen hatten sich bereits früher am Freitag offenbart, als Erdoğan vom deutschen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier empfangen worden war. Bei dem Termin wurden konkrete Fälle von politischen Gefangenen in der Türkei angesprochen. Dabei sei die „unterschiedliche Wahrnehmung“beider Seiten thematisiert worden. Am Freitagabend gab Steinmeier ein Staatsbankett, das viele Politiker der Opposition boykottierten.
Merkel betonte bei Erdoğans Besuch aber auch Gemeinsamkeiten wie die NATO-Partnerschaft und den Kampf gegen Terrorismus. Ausdrücklich würdigte sie, dass die Türkei „Herausragendes“bei der Beherbergung von mehr als drei Millionen Flüchtlingen leiste. Erdoğan bedankte sich für die finanzielle Unterstützung der EU, die Berlin tatkräftig unterstützt habe.
Auf der Habenseite des Staatsbesuchs steht die Vereinbarung eines neuen Treffens zur Lage in Syrien. Auch wirtschaftlich geht es offenbar ein wenig voran. Unter anderem wurde eine deutsch-türkische Wirtschaftskommission ins Leben gerufen. Der Wirtschaft in der Türkei geht es immer schlechter. Seit der Krise gibt es eine deutliche Zunahme von Geldüberweisungen nach Deutschland.
„Wer nicht miteinander spricht, findet keine gemeinsame Position.“