Die Briten können ihren Brexit-Frust jetzt wegtrainieren
Ein Londoner Fitnessstudio bietet ein neues, politisches Programm: BrexFit. Trainiert wird etwa an einem Boxsack mit einem Bild von Ex-Außenminister Johnson.
Er schreit fast in sein Mikrofon. „Wie fühlt ihr euch mit dem Brexit?“, ruft Boris in die Runde. „Frustriert? Wütend? Gelangweilt?“Vor dem Anheizer stehen zehn Leute in Sportgewand und Turnschuhen. Sie nicken, trippeln, bevor sie zu lauter Musik mit dem Aufwärmen beginnen. Um sie herum hängen Zitate von Politikern. Fotos von Premierministerin Theresa May und Oppositionschef Jeremy Corbyn sind an Trainingsstationen angebracht und auf einem Boxsack prangt das Gesicht von Ex-Außenminister Boris Johnson. Die Politik ist in Großbritannien auch im Sport angekommen. BrexFit nennt sich das Programm des Studios Gymbox, mit dem genervte Briten ihren Frust abbauen und den aufgestauten Ärger herauslassen können. „Die Wissenschaft hat gezeigt, dass es hilft, zu trainieren, wenn man wütend ist“, sagt Marc Diaper, Chef der Fitnessstudio-Kette. Diesen Gedanken wollten die Entwickler von BrexFit aufnehmen. Mit der Visualisierung des Ärgers könne man die letzten Prozent beim Training herausholen. „Die Reaktionen sind unglaublich“, berichtet der 39-jährige Brite. Die beiden jeden Donnerstag stattfindenden Kurse sind auf Wochen ausgebucht, die Wartelisten werden täglich länger.
Der 30-minütige Kurs startet. Jeweils 45 Sekunden verbringen die Sportler an jeder der sieben Workout-Stationen. Bea wählt den Sandsack mit dem Konterfei von Johnson, schlägt mit verzerrtem Gesicht immer wieder darauf ein. „Dieser Typ eignet sich perfekt für Fausthiebe“, sagt die 26-Jährige. Sie stammt aus Ungarn, hat aber in Großbritannien „ein Zuhause weit weg vom Zuhause“gefunden. Dank der schlecht laufenden Brexit-Verhandlungen weiß sie nicht, wie es weitergehen wird. „Das alles bewegt mich sehr“, sagt Bea. Ende März verlassen die Briten die Gemeinschaft, aber mit welchem Abkommen?
Der zweite Boxsack ist mit dem Konterfei von EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker bestückt. Um die Trainierenden laden Zitate wie „Brexit heißt Brexit heißt Brexit“ von Theresa May zur Wut-Auffrischung ein. Hinter den Gewichthebern lächelt der erzkonservative Brexit-Befürworter Jacob Rees-Mogg von der Wand. Wer genug vom Training hat, kann in der „Drückeberger-Ecke“eine Auszeit nehmen. Sie ist dem nach dem Brexit-Referendum zurückgetretenen Premierminister David Cameron gewidmet.
Die Sitzgelegenheit soll an diesem Tag unbenutzt bleiben. Stattdessen keuchen und schwitzen die Teilnehmer. „Ich will einfach meinen Frust loswerden“, sagt George und stemmt die Arme in die Hüften. Ihm rinnt der Schweiß von der Stirn. Vor 16 Jahren kam er aus Portugal nach Großbritannien, hat hier studiert, arbeitet in London und bezahlt Steuern. „Alles läuft wirklich entmutigend, aber es ist, wie es ist.“Seine Lieblingsstation im Programm? Das Hüpfen in einem Sack, der bestückt ist mit einem Foto der grinsenden Regierungschefin May. „Der Brexit trifft uns alle“, sagt George. Dieses Gefühl treibt ihn aber zumindest beim Training noch mehr an.