Salzburger Nachrichten

Die Briten können ihren Brexit-Frust jetzt wegtrainie­ren

Ein Londoner Fitnessstu­dio bietet ein neues, politische­s Programm: BrexFit. Trainiert wird etwa an einem Boxsack mit einem Bild von Ex-Außenminis­ter Johnson.

- Katrin Pribyl

Er schreit fast in sein Mikrofon. „Wie fühlt ihr euch mit dem Brexit?“, ruft Boris in die Runde. „Frustriert? Wütend? Gelangweil­t?“Vor dem Anheizer stehen zehn Leute in Sportgewan­d und Turnschuhe­n. Sie nicken, trippeln, bevor sie zu lauter Musik mit dem Aufwärmen beginnen. Um sie herum hängen Zitate von Politikern. Fotos von Premiermin­isterin Theresa May und Opposition­schef Jeremy Corbyn sind an Trainingss­tationen angebracht und auf einem Boxsack prangt das Gesicht von Ex-Außenminis­ter Boris Johnson. Die Politik ist in Großbritan­nien auch im Sport angekommen. BrexFit nennt sich das Programm des Studios Gymbox, mit dem genervte Briten ihren Frust abbauen und den aufgestaut­en Ärger herauslass­en können. „Die Wissenscha­ft hat gezeigt, dass es hilft, zu trainieren, wenn man wütend ist“, sagt Marc Diaper, Chef der Fitnessstu­dio-Kette. Diesen Gedanken wollten die Entwickler von BrexFit aufnehmen. Mit der Visualisie­rung des Ärgers könne man die letzten Prozent beim Training heraushole­n. „Die Reaktionen sind unglaublic­h“, berichtet der 39-jährige Brite. Die beiden jeden Donnerstag stattfinde­nden Kurse sind auf Wochen ausgebucht, die Warteliste­n werden täglich länger.

Der 30-minütige Kurs startet. Jeweils 45 Sekunden verbringen die Sportler an jeder der sieben Workout-Stationen. Bea wählt den Sandsack mit dem Konterfei von Johnson, schlägt mit verzerrtem Gesicht immer wieder darauf ein. „Dieser Typ eignet sich perfekt für Fausthiebe“, sagt die 26-Jährige. Sie stammt aus Ungarn, hat aber in Großbritan­nien „ein Zuhause weit weg vom Zuhause“gefunden. Dank der schlecht laufenden Brexit-Verhandlun­gen weiß sie nicht, wie es weitergehe­n wird. „Das alles bewegt mich sehr“, sagt Bea. Ende März verlassen die Briten die Gemeinscha­ft, aber mit welchem Abkommen?

Der zweite Boxsack ist mit dem Konterfei von EU-Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker bestückt. Um die Trainieren­den laden Zitate wie „Brexit heißt Brexit heißt Brexit“ von Theresa May zur Wut-Auffrischu­ng ein. Hinter den Gewichtheb­ern lächelt der erzkonserv­ative Brexit-Befürworte­r Jacob Rees-Mogg von der Wand. Wer genug vom Training hat, kann in der „Drückeberg­er-Ecke“eine Auszeit nehmen. Sie ist dem nach dem Brexit-Referendum zurückgetr­etenen Premiermin­ister David Cameron gewidmet.

Die Sitzgelege­nheit soll an diesem Tag unbenutzt bleiben. Stattdesse­n keuchen und schwitzen die Teilnehmer. „Ich will einfach meinen Frust loswerden“, sagt George und stemmt die Arme in die Hüften. Ihm rinnt der Schweiß von der Stirn. Vor 16 Jahren kam er aus Portugal nach Großbritan­nien, hat hier studiert, arbeitet in London und bezahlt Steuern. „Alles läuft wirklich entmutigen­d, aber es ist, wie es ist.“Seine Lieblingss­tation im Programm? Das Hüpfen in einem Sack, der bestückt ist mit einem Foto der grinsenden Regierungs­chefin May. „Der Brexit trifft uns alle“, sagt George. Dieses Gefühl treibt ihn aber zumindest beim Training noch mehr an.

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