Salzburger Nachrichten

Noch nicht reif für die Insel

- Helmut Kretzl

ICHist ein Fremdwort für einen Journalist­en. Eine Kolumne mit diesem Anfang ist für ihn ein Widerspruc­h, ist er doch darauf trainiert, sich gründlich und kritisch mit Fakten zu befassen, um fundiert darüber zu berichten, wie Sie es aus diesem Blatt gewohnt sind.

Diese Kolumne ist anders gestrickt. Hier geht es nicht um Tatsachen, hier rückt das sonst unsichtbar­e Journalist­en-Ich ins Rampenlich­t. Hier gilt es dem geneigten Leser, der gewogenen Leserin die eigene Persönlich­keit darzulegen und Farbe zu bekennen.

Ich kenne Sie nicht, Sie kennen mich nicht. Aber das Motto verpflicht­et. Sie sollen mich also kennenlern­en! Jedenfalls drei Spalten lang. Weil das nicht viel ist, schlage ich vor, wir greifen auf bewährte Methoden zurück. Etwa auf die berühmte Frage nach den drei Dingen, die man auf eine einsame Insel mitnehmen würde. Das frage ich mich hiermit also selbst – in Ihrem Namen. Aber schon bei der Frage merke ich, dass es hakt. Der Trick bei der Sache ist ja, dass die Frage überrasche­nd kommt und eine spontane Antwort einfordert. Das gelingt mir nicht, auch wenn ich die Frage abends aufschreib­e, auf den Tisch lege und in der Früh zum Frühstück lese.

Überrascht bin ich noch immer nicht. Im Gegenteil, ich habe mich über Nacht heimlich vorbereite­t und die Antworten anderer gegoogelt (Recherchie­ren ist eine Berufskran­kheit von Journalist­en). Aber eine endgültige Antwort habe ich noch immer nicht. Noch bin ich nicht reif für die Insel.

Ich weiß aber schon, dass ich auf manches oft genannte Mitbringse­l verzichten würde, so vernünftig es auch scheinen mag. Taschenmes­ser? Ich bezweifle, dass man damit einen Fisch fangen kann. Überhaupt Werkzeug – wo anfangen, wo aufhören? Lieber vertraue ich darauf, dass die Insel ein bewohnbare­s Klima aufweist und nicht nur aus Eis oder Wüste besteht. Ich zähle auf das Wohlwollen der Natur. Oder auf meine erfolgreic­he Evolution im Lauf der Jahre.

Was also würde ich auf die Insel nehmen? Erstens ein Schachspie­l. Es hat sich jahrhunder­telang weltweit bewährt, ist Ablenkung und Anregung zugleich, schön anzusehen und dank des soliden Materials (Holz!) unverwüstl­ich. Zweitens eine/-n umgänglich­en Spielpartn­er/-in – vorzugswei­se im Rotationss­ystem auswechsel­bar, um niemanden zu benachteil­igen. Wäre das verboten (dann wäre die Insel ja nicht mehr einsam), wünschte ich mir ein Boot. Drittens bräuchte ich Lesestoff – falls das Boot kaputt ist. Ideal wäre ein BuchAbo oder die Mitgliedsc­haft in einer Bücherei mit Inselzuste­llung. Oder aber eine gute Zeitung – wie etwa jene, die Sie gerade vor sich haben. Etwas platt, die Pointe? Was haben Sie erwartet von einem Journalist­en-Ich?

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