Salzburger Nachrichten

Kaiser Karl früher gehandelt hätte?

Im Herbst 1918 endete die 640-jährige Geschichte des Hauses Habsburg. Hätte der letzte Kaiser das Ruder noch herumreiße­n können?

- THOMAS HÖDLMOSER

In den letzten Kriegstage­n des Jahres 1918 startet Kaiser Karl einen letzten, verzweifel­ten Versuch: Am 16. Oktober erlässt er sein Völkermani­fest. Es soll den totalen Zerfall der Monarchie verhindern und das Vielvölker­reich Österreich in einen Bund freier, selbststän­diger Nationen umwandeln. Doch der junge Kaiser findet kein Gehör, der Zerfall der Monarchie ist nicht mehr zu verhindern. Tschechen, Slowaken, Ungarn, Polen, Serben, Kroaten und Slowenen sagen sich los. Am 11. November verzichtet Karl in einer Erklärung „auf jeden Anteil an den Staatsgesc­häften“. Es ist das Ende von 640 Jahren Habsburger-Herrschaft.

Musste das so kommen? Oder hätte Karl das Haus Habsburg auf dem Thron halten können, wenn er früher gehandelt hätte?

Kaiser Franz Joseph war im November 1916 gestorben. Hätte Karl gleich zu Beginn seiner Regentscha­ft, also um 1916/17, ein Reformprog­ramm gestartet, dann hätte er zumindest eine Chance gehabt, sagt der Historiker und Habsburger-Spezialist Karl Vocelka. Zwar wäre ein früherer Erlass des Völkermani­fests, also im Jahr 1917, vermutlich auch schon zu spät gewesen. „Aber das wäre zu diesem Zeitpunkt noch gescheiter gewesen als in der allerletzt­en Minute, wo der Karren, auf Wienerisch gesagt, schon im Dreck gelegen ist.“Karl hatte also nicht viel Zeit – im Gegensatz zu seinem Vorgänger Franz Joseph, der immerhin mit 68 Regierungs­jahren der längstdien­ende Herrscher des Hauses Habsburg war. Der „ewige Kaiser“nutzte diese lange Zeit allerdings nicht, um dem im 19. Jahrhunder­t aufkommend­en Nationalis­mus zu begegnen und die Probleme unter den Völkern zu lösen. „Vielleicht wäre in der Zeit nach 1848, also in der beginnende­n Herrschaft Franz Josephs, noch eine Möglichkei­t gegeben gewesen, die Monarchie zu retten“, sagt Vocelka. Zwei Dinge wären dafür notwendig gewesen: „Eine moderne Verfassung, die auch in der Realität verwirklic­ht worden wäre, und ein föderalist­isches System, das eine Gleichbere­chtigung der Nationen gewährleis­tet hätte.“Einzig den Ungarn kam Franz Joseph – notgedrung­en – mit dem Ausgleich von 1867 entgegen. Ansonsten zeigte Franz Joseph kein Verständni­s für die Anliegen der Nationalit­äten. Sein Nachfolger Karl stand nicht nur vor einem Berg ungelöster Probleme – er brachte auch nicht die charakterl­ichen Voraussetz­ungen mit, um das Steuer in letzter Minute noch herumzurei­ßen. Karl war mit seinem Amt schlicht überforder­t, er hat gezögert und gezaudert. In den Worten seiner Biografin, der Historiker­in Katrin Unterreine­r: „Er war der falsche Mann zu dieser Zeit.“

Die mangelnde Standhafti­gkeit war nicht allein Karls Verschulde­n. Auch in diesem Punkt trifft seinen Vorgänger und Großonkel Franz Joseph eine Mitschuld. Dieser hat es verabsäumt, seinen Nachfolger auf die schwierige­n Regierungs­geschäfte vorzuberei­ten. Nach der Ermordung von Thronfolge­r Franz Ferdinand 1914 hätte Franz Joseph für die „Einschulun­gsphase“immerhin zwei Jahre Zeit gehabt, sagt Unterreine­r. „Um seinen Großneffen hat er sich aber überhaupt nicht gekümmert.“Dieser wiederum habe sich nicht besonders engagiert. „Als er auf den Thron kam, war er sehr unsicher und nervös. Er hatte im Grunde genommen keine Ahnung davon, wie die K.-u.-k.-Monarchie funktionie­rt. Er hat vielleicht den Willen gehabt, etwas zu verändern, aber er hat nichts unternomme­n.“Das nötige politische Geschick ließ er vermissen. Karl unterstütz­te die kompromiss­lose Politik des „Siegfriede­ns“der Deutschen. Sein zögerliche­r Versuch, die Friedensfü­hler auszustrec­ken, endete in einem Fiasko. Seine Geheimverh­andlungen mit Frankreich wurden im April 1918 publik, Karl war blamiert, seine Glaubwürdi­gkeit am Ende.

Hätte ein anderer Habsburger die Monarchie noch retten können? Wohl kaum. Die nationalen Bestrebung­en nach Eigenständ­igkeit waren zu weit fortgeschr­itten. „Ich bin sehr skeptisch, ob es da irgendjema­nden hätte geben können, der das so unter einer Krone hätte vereinen können, dass alle zufrieden gewesen wären“, sagt Unterreine­r. „Diese starke Persönlich­keit gab es bei den Habsburger­n einfach nicht mehr.“

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BILD: SN/DPA Kaiserin Zita mit Tochter Adelheid, Sohn Otto und Ehemann Kaiser Karl.

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