Salzburger Nachrichten

Hilfe für Opfer: Mehr als eine Geste der Verantwort­ung

Vom Geldtasche­ndiebstahl über Missbrauch bis Mord: Seit 40 Jahren setzt sich der Weisse Ring für Opfer ein. Warum Betroffene nach Verbrechen nicht alleingela­ssen werden dürfen.

- MICHAELA HESSENBERG­ER

Er hat Natascha Kampusch rechtlich beraten und auch die Familie F., die jahrelang vom Vater in einem niederöste­rreichisch­en Keller eingesperr­t und teils schwer sexuell missbrauch­t worden ist: Udo Jesionek ist Gründervat­er, Präsident und Gesicht der Opferschut­zeinrichtu­ng Weisser Ring, die in diesen Tagen in Österreich ihr 40-Jahr-Jubiläum feiert. „Im Jänner 1978 ist der Weisse Ring in Österreich gegründet worden, im Dezember das erste Frauenhaus. Die plötzliche Entdeckung des Opfers ist sehr, sehr spät gekommen“, sagt der 81-Jährige. Er beklagt, dass Opfer im Strafrecht bis dahin maximal als Zeugen gesehen wurden, aber nicht als Menschen, denen Verbrechen auch psychisch schweren Schaden zufügen können.

„Opfer leiden oft ein Leben lang unter den erlebten Straftaten. Deshalb ist rasche und kompetente Hilfe und Begleitung während eines Strafverfa­hrens ungemein wichtig. Nicht zuletzt aufgrund der Arbeit von Opferschut­zeinrichtu­ngen wie dem Weissen Ring ist Österreich darin europaweit Vorreiter“, sagte Staatssekr­etärin Karoline Edtstadler (ÖVP) am Freitag den SN.

Auf weitere Unterstütz­ung hofft auch Udo Jesionek: Er will von der Polizei Namen und Daten von Opfern bekommen, damit der Weisse Ring Menschen nach einem schweren Verbrechen Hilfe anbieten kann. Gewaltschu­tzzentren erhalten diese Informatio­nen bereits.

Edtstadler plant vorerst jedoch in die andere Richtung: In Notfällen will sie die Daten von Tätern automatisc­h an Hilfsstell­en weiterleit­en lassen. „Die ,Taskforce Strafrecht‘ arbeitet noch an der Umsetzung eines konkreten Gesetzesvo­rschlags. Der Datenschut­z von Menschen, die gewalttäti­g geworden sind, ist etwas sehr Sensibles“, erklärt ihr Sprecher Eberhard Blumenthal.

Rund ein Jahr nach der #MeTooDebat­te begrüßt Weisser-Ring-Präsident Udo Jesionek, dass „immer mehr Opfer aus der Dunkelziff­er ins Licht treten“. Missbrauch sei bis dahin oft bagatellis­iert worden, nun müsse jeder Täter mit einer Anzeige rechnen. Dennoch vermutet der 81-Jährige, dass viel zu viele Sexualdeli­kte, gerade innerhalb von Familien, weiter unter den Teppich gekehrt werden.

Mit Blick auf die vergangene­n vier Jahrzehnte berichtet Jesionek, früher Präsident des Jugendgeri­chtshofs Wien, dass Verbrechen in Österreich jedenfalls brutaler geworden seien. Das führt er auch auf eine Internatio­nalisierun­g des Verbrechen­s zurück. „Ein Einbrecher hatte früher keine Waffe, weil er wusste, dass das streng bestraft wird. Heute haben viele ein Messer oder gar eine Schusswaff­e dabei.“

Er kritisiert auch, dass sich die Fälle häufen, in den es keinen Zusammenha­ng zwischen Täter und Opfer gibt. Als einprägsam­es Beispiel nennt er den Mord am Brunnenmar­kt, bei dem im Mai 2016 ein Mann einer ihm unbekannte­n Frau mit einer Eisenstang­e den Schädel eingeschla­gen hat. „Der Umgang miteinande­r ist härter geworden.“

Wer Opfer oder Zeuge eines Gewaltverb­rechens wird, bekommt diese Bilder mitunter nicht mehr aus dem Gedächtnis. „Deshalb ist es wichtig, dass Fachkräfte unbürokrat­isch zur Verfügung stehen“, erklärt der Wiener Psychologe Cornel Binder-Krieglstei­n. Als Sanitäter und in Kriseninte­rventionst­eams habe er viele Menschen in psychisch traumatisi­erenden Situatione­n erlebt – bei Unfällen etwa. Danach müsse man schauen, was ein solches Erlebnis in der Psyche eines Menschen auslöse. „Wenn die Belastung so groß ist, dass sie krankhaft wird, müssen Profis handeln“, sagt Binder-Krieglstei­n.

Neben der profession­ellen Betreuung sei aber auch die soziale wichtig – durch viele Gespräche mit Familie oder Freunden.

„Opfer treten aus der Dunkelziff­er.“Udo Jesionek, Weisser Ring

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BILD: SN/APA Wer Opfer oder Zeuge wird, leidet mitunter lange an den traumatisi­erenden Erlebnisse­n.
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