Die Neos lehnen dankend ab Der verhinderte Drachentöter
Christian Kern wollte eine Allianz gegen die Rechtspopulisten schmieden. Dazu fehlten ihm nicht nur die Alliierten, sondern auch die Befähigung.
Er wolle eine „Allianz gegen die Salvinis, Orbáns, Kaczyńskis schmieden“, hatte der scheidende SPÖ-Vorsitzende Christian Kern noch vor kaum drei Wochen verkündet, als er sich selbst zum SPÖ-Spitzenkandidaten für die bevorstehende EU-Wahl krönte. Kerns Ambition, als oberster Drachentöter Europas die üblen Rechtspopulisten zu bekämpfen, war nur von kurzer Dauer. Am Samstag verkündete er seinen endgültigen Abschied aus der Politik.
Hat sich da einer zu hoch gebläht? Hat Christian Kern seinen Status in Europa und seine Fähigkeit, eine ländergreifende Mittelinks-Koalition ins Leben zu rufen, restlos überschätzt? Oder ist der vormalige Kanzler und Parteichef tatsächlich, wie er bei seiner Rücktrittsrede am Samstag andeutete, an inneren Intrigen und äußeren Rahmenbedingungen gescheitert? In Wahrheit treffen beide Lesarten zu. Faktum ist, dass Kern seine Fühler nach dem französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron ausstreckte und mit diesem auch ein Gespräch für den 20. Oktober vereinbart hat. Die Idee eines EU-weiten überparteilichen Mitte-links-Parteienbündnisses unter Einschluss der SPÖ dürfte mit der neuen SPÖFührung aber nicht abgesprochen gewesen sein. Und tatsächlich erteilte die neue Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner bei ihrer Erklärung nach dem Parteipräsidium am Sonntag allfälligen Überlegungen einer Listenkombination von Sozialdemokraten und anderen MitteLinks-Kräften beziehungsweise „unabhängigen“Kandidaten eine klare Absage. „Wir werden enger zusammenarbeiten“, sagte sie. Dies aber „innerhalb der europäischen sozialdemokratischen Familie“und nicht mit anderen politischen Kräften, fügte sie hinzu. Allfällige Allianzen mit anderen Fraktionen werde es frühestens nach geschlagener EU-Wahl geben.
Kerns Allianzpläne scheiterten also bereits bei der eigenen Parteiführung. Hinzu kommt der Umstand, dass Macron nicht nur von der Sozialdemokratie (beziehungsweise von Kern) umworben wurde und wird, sondern auch von den Liberalen. Guy Verhofstadt, Fraktionschef der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE), macht kein Hehl daraus, dass er den französischen Staatspräsidenten und dessen Partei La République en Marche für ein Bündnis für die Europawahl im Mai gewinnen will. Passend dazu macht in Wien seit Kurzem das Gerücht die Runde, dass es Bemühungen um eine gemeinsame Plattform von SPÖ und Neos und eventuell den Grünen geben könnte. Was Rendi-Wagner mit ihrer gestrigen Erklärung deutlich zurückwies. Auch Neos-Generalsekretär Nikola Donig dementiert auf SN-Anfrage: „Die Liberalen, und mit ihnen die Neos, sind schon lange über das Stadium des Nachdenkens hinaus und führen konkrete Gespräche auch außerhalb der Parteienfamilie“, sagt er. Diese Gespräche zielten vor allem auf eine Allianz mit Macrons „En Marche“. „Die SPÖ oder Christian Kern waren hingegen nie involviert oder im Gespräch“, betont der NeosGeneral.
Was kaum verwundert. Sind die SPÖ und die Neos auch in Grundrechtsfragen in der Regel auf einer Linie, trennen sie in der Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik Welten. Das erklärte Ziel der SPÖ, die EU in eine Sozialunion zu verwandeln, wird mit den Neos (oder den europäischen Liberalen) nicht zu verwirklichen sein.
Das Schmieden einer europäischen Mittelinks-Allianz gegen den europäischen Rechtspopulismus ist also nicht ganz so einfach, wie es vor wenigen Wochen bei Christian Kerns lockerer Ankündigung klang. Dazu kam, dass Kern wohl auch über das Verhalten seiner österreichischen Parteifreunde ernüchtert war. Sein kurzlebiger Wunsch, bei der EU-Wahl als Spitzenkandidat anzutreten, wurde von den Spitzengremien der Partei zwar akzeptiert, aber eher widerwillig. Kerns Auffassung, dass seine Bereitschaft zur Kandidatur so etwas wie ein Gottesgeschenk sei, wurde in der Partei nicht wirklich geteilt. Auch konnte sich niemand vorstellen, dass ein Mann wie Kern sich damit zufriedengeben könnte, einer von Hunderten EU-Mandataren zu sein. „Ich gehe mit Ihnen jede Wette ein: Kern wird diese Kandidatur ebenso hinschmeißen wie den SPÖ-Vorsitz“, vertraute ein ehemaliger SPÖ-Minister vor wenigen Tagen den SN an. Der Mann hat recht behalten.