Georgien schlägt ein neues Kapitel auf
Nicht nur bei der Frankfurter Buchmesse wird Georgiens Kultur neu entdeckt. Auch Wien soll ein Startpunkt werden.
Vom Erfolg des Unterfangens zeigte sich Mikheil Giorgadze schon vorab überzeugt. „Es wird eine riesige Wirkung haben“, sagte der stellvertretende georgische Kulturminister am Freitag, umringt von Kameras und Mikrofonen. Endlich werde das Erbe und die Kultur Georgiens den Weg zur Wahrnehmung durch eine breite Öffentlichkeit finden. Von der Frankfurter Buchmesse, wo sich Georgien als Gastland präsentiert und in dieser Woche viel Aufmerksamkeit erhält, war aber ausnahmsweise nur am Rande die Rede.
Nicht im nationalen Literaturzentrum in der georgischen Hauptstadt Tbilisi oder im Museum der Bücher fand die Pressekonferenz statt, sondern in der Nationalgalerie. Die Kamerateams waren in dem Raum aufgebaut, der den Bildern von Niko Pirosmani gewidmet ist. In Georgien gilt der Maler als nationale Kulturikone. Seine charakteristischen Figuren und Darstellungen sind nicht nur im Museum zu finden, sondern auch als Sujets auf georgischen Banknoten.
Außerhalb des Landes ist das Leben und Werk dieses Malers (1862–1918) kaum bekannt. Heuer, zu seinem 100. Todestag, soll sich das ändern. Erstmals seit 1969 werden seine Werke bald in Wien zu sehen sein. Die Albertina widmet Niko Pirosmani Ende Oktober eine Retrospektive (in Kooperation mit der privaten Infinitart Foundation und dem georgischen Nationalmuseum, das den Großteil von dessen erhaltenen Werkes hütet) und hat deshalb auch österreichische Medienvertreter zum Lokalaugenschein nach Tbilisi gebeten.
Niko Pirosmani sei mehr als nur ein Künstler, sagt Eka Kiknadze, die Direktorin der Nationalgalerie. „Er repräsentiert Georgien.“Und sein Todesjahr fällt mit einem georgischen 100-Jahr-Jubiläum zusammen: 1918 erlangte das Land seine Unabhängigkeit von der russischen Macht – die allerdings zunächst nur bis 1921 währte. Erst 1991 konnte sich neuerlich die Unabhängigkeitsbewegung im allmählich zerfallenden Sowjetregime behaupten.
Für eine nationale Ikone, die den Geist der Eigenständigkeit verkörpert, gibt es auch in Niko Pirosmanis Leben und Werk manche Anknüpfungspunkte: Der früh verwaiste Künstler lernte das Malen als Autodidakt. In seinen leuchtkräftigen Bildern – oft handelte es sich um Laden- oder Tavernenschilder, die er im Auftrag von Ladenbesitzern und Wirten malte – hielt er oft Szenen oder Traditionen des georgischen Alltags fest. Seinem Credo der naiven, stilistisch für sich allein stehenden Malerei blieb er auch gegen Anfeindungen der akademischen Zirkel treu. Er starb verarmt, aber unangepasst.
Ein Widerspruch sei in Pirosmanis Werk bis heute unaufgelöst, sagt Elisabeth Dutz, die gemeinsam mit Bice Curiger von der Fondation Vincent van Gogh in Arles die Wiener Ausstellung kuratiert. Er sei einer der am wenigsten bekannten, zugleich einer der für das 20. Jahrhundert einflussreichsten Künstler gewesen. Denn die Avantgardisten, die sich ihrerseits vom Akademismus abwandten, sahen in seinen Bildern die unverstellte Ausdruckskraft, nach der sie ihrerseits suchten. Zur Ikone für Künstler wurde der Maler auf diesem Weg, teilweise erst posthum.
Unter dem Oberbegriff der russischen Avantgardisten blieb in Europa freilich auch lange unbeachtet, dass Georgien seine eigene, starke Avantgarde hervorgebracht hat. Zum 100. Jubiläum von Georgiens Unabhängigkeit widmet sich derzeit in der Züricher Kunsthalle erstmals eine Ausstellung dem „Georgischen Modernismus“in bildender Kunst, Film oder Theater. Es sei ein „überaus interessantes, aber beinahe vollständig ignoriertes Kapitel der westlichen Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts“, heißt es auf der Internetseite.
Für Niko Pirosmani soll unterdessen die Schau in der Albertina ein neues Kapitel in der Rezeptionsgeschichte aufschlagen. 2019 soll die Schau in der Fondation Vincent van Gogh im südfranzösischen Arles zu sehen sein. Es sei ein neuer Startpunkt für die georgische Ikone, sagt Eka Kiknadze, die Direktorin der Nationalgalerie. Der Weg dorthin führt auch über Frankfurt: Bei der Buchmesse wird in dieser Woche der Pirosmani-Ausstellungskatalog präsentiert.
„Es wird riesige Wirkung haben.“