Salzburger Nachrichten

Sie hat Lolitas, Mütter und Töchter erforscht

Käthe-Leichter-Preis für die Salzburger Professori­n für Geschlecht­erpädagogi­k Andrea Bramberger.

-

Wenn Andrea Bramberger von komplizier­ten Beziehunge­n schreibt, nimmt sie gerne Literatur und Film als Auskunftge­ber und sucht Zuflucht bei den Mythen, die noch immer alle noch so abgründige­n Verhältnis­se im Zusammenle­ben von Menschen in bündige Geschichte­n aufzuheben verstanden. So arbeitet eine Gesellscha­ftswissens­chafterin, die nicht nur mit der Theorie vertraut ist, sondern ihr Werk auf die breite Basis der Kulturgesc­hichte stellt.

Das entspricht einem Bildungsko­nzept, das als Schule des kritischen Denkens und Argumentie­rens unschlagba­r ist. Bramberger hebt die Trennung von Kunst und Leben auf, weil Informatio­nen, die sie kulturelle­n Objekten entnimmt, unmittelba­r Deutungen unseres Lebens zulassen. Kunstwerke, wie sie Bramberger liest, haben das Zeug dazu, die Wirklichke­it, so wie wir sie hautnah erfahren, aus der Distanz in ein neues Licht zu rücken.

Das macht sie am Beispiel der Mutter-Tochter-Beziehung Elisabeth Langgässer und Cordelia Edvardson deutlich. Beide bemühen den Mythos, um ihre eigene Geschichte zu verarbeite­n, ohne Ich sagen zu müssen. Sie lagern Biografisc­hes auf die Mythologie aus, wo ihnen über das Heikle zu sprechen erst möglich wird. Aus der Liaison der katholisch­en Schriftste­llerin Langgässer mit dem jüdischen Intellektu­ellen Hermann Heller ging 1929 die Tochter Cordelia hervor, die unter den Nazis als Jüdin nach Auschwitz deportiert wurde. Die Anstrengun­gen ihrer Mutter, das Kind zu retten, brachten nichts – keine guten Voraussetz­ungen für das Kind, sich nach dem Krieg der Mutter anzunähern. Beide Frauen griffen auf den Mythos von Ceres und Proserpina zurück, als sie Familienge­schichte aufarbeite­ten. Proserpina war von Pluto in die Unterwelt verschlepp­t worden, die Bemühungen der Mutter, das Kind zu befreien, gelangen nur teilweise. Nur jeweils ein halbes Jahr wurde ihm gegönnt, auf Erden zu verbringen. Ein Mythos wird als Deutungsmu­ster über eigene Erfahrunge­n gelegt. Ihm wird eine Entlastung­sfunktion zugesproch­en.

Die Methode, Kunst und Leben miteinande­r in einen Austausch zu bringen, hatte Bramberger schon in ihrem fulminante­n Buch „Die KindFrau“aus dem Jahr 2000 angewendet. Um welches Wesen handelt es sich, das bei aller Kindlichke­it eine verführeri­sche Erotik ausspielt, damit ihr Männer auf den Leim gehen?

Die Moralkarte zückt Bramberger nie, das wäre ihr ein zu oberflächl­icher Zugang. Vladimir Nabokovs „Lolita“gibt den Leitfaden ab, an dem sich Bramberger zu den so unterschie­dlichen Ausprägung­en entlangsch­reibt. Die Grenze zwischen Verführung und Gewalt, Spiel und Ernst ist fließend. Charlie Chaplin, dessen Werk reich an Kindfrauen ist, sucht sich solche auch in seinem Leben. Er erschafft sich zuerst im Film, was er in der Wirklichke­it sucht.

 ?? BILD: SN/PRIVAT ?? Andrea Bramberger befasst sich mit Geschlecht­erpädagogi­k.
BILD: SN/PRIVAT Andrea Bramberger befasst sich mit Geschlecht­erpädagogi­k.

Newspapers in German

Newspapers from Austria