Gewalt gibt es in Bibel und Koran
Zu „Bibel und Koran über Gewalt“(SN vom 15. 9.): Es ist schlicht und einfach unbefriedigend, wie Frau Prof. Walser und Herr Prof. Khorchide die Gewaltstellen in Bibel und Koran erklären. Beide weisen u. a. darauf hin, dass man nicht nur die Gewaltverse lesen, sondern auch den Zusammenhang mit den vorhergehenden oder folgenden barmherzigen Versen herstellen sollte. Mein Verstand weigert sich, daraus den Schluss zu ziehen, dass die Hassstellen dadurch außer Kraft treten oder gar ungültig sind. Das gilt sowohl für die Bibel als auch für den Koran. Wie lässt sich z. B. der Vers 57 der 4. Sure durch einen barmherzigen Vers umdrehen? „Die, welche unseren Zeichen nicht glauben, werden in Höllenflammen braten, und sooft ihre Haut verbrannt ist, geben wir ihnen andere Haut, damit sie umso peinlichere Strafe Schreiben Sie uns! fühlen; denn Allah ist mächtig und allweise.“Jeder IS-Kämpfer braucht nur mit dem Finger darauf zu tippen, um festzustellen, dass er mit seinen Brutalitäten im Recht ist. Ähnliches geschah ja auf christlicher Seite mit der Bibel bei den Kreuzzügen im Mittelalter.
Wenn Prof. Walser auf Tertullian oder gar Eutropius verweist, dann bleibt dies für die meisten „Normalmenschen“eine nebelhafte Erklärung, da es rein universitären Charakter hat. Ein wirklich hilfreicher Hinweis für die Gewaltstellen im Koran kommt von Prof. Khorchide: Man sollte sie im historischen Kontext betrachten, gültig für die Situation in Mekka und Medina im 7. Jh., nicht aber heute.
Fest steht, dass es sowohl im Alten wie im Neuen Testament wie auch im Koran viele Gewaltstellen und Widersprüchlichkeiten gibt, die seit Jahrhunderten hin und her gebogen werden. Diese Widersprüchlichkeiten haben für den Koran dazu geführt, dass es zur Abrogatio (arabisch annásach wal mansúch) kam, was bedeutet, dass ein späterer Vers einen früheren abschafft. Aber der Großteil der Menschheit kümmert sich ohnedies wenig um solche Dinge. Dieter Neumann