Ämter „auf Lebenszeit“sind ziemlich aus der Zeit gefallen
Was einst als Anker der Stabilität erfunden wurde, hat Schattenseiten und entwickelt sich zum Hindernis moderner Politik.
Die heftig umstrittene Bestellung eines Richters am Supreme Court der USA lenkt, neben dem Streit um dessen Verhalten in der Vergangenheit, die Aufmerksamkeit auf einen Umstand, der nicht nur mit der politischen Ausrichtung des Mannes zu tun hat. Die Richter werden „auf Lebenszeit“bestellt, was bedeutet, dass sie selbst entscheiden, wann sie sich für zu alt, zu krank oder zu müde halten, um dieses Amt auszuüben. Das heißt aber auch, dass Brett Kavanaugh noch lange Höchstrichter sein wird, wenn über dem Krawallpräsidenten Donald Trump schon längst der gnädige Vorhang des Vergessens liegen wird.
„Auf Lebenszeit“wurde für dieses Amt erfunden, als die Lebenszeit viel knapper bemessen war, als sie es heute ist. Der Vorteil damals: Eine über die Amtszeit des ernennenden Präsidenten hinausgehende Stabilität in der Beurteilung verfassungsrechtlicher Fragen. Der Nachteil heute: Menschen in hohem Alter, denen womöglich das Gefühl für und die Einsicht in modernere Lebensumstände abhandengekommen sind, krallen sich mit ihren Entscheidungen an der Vergangenheit fest, statt aktuelle Lebensumstände zu berücksichtigen. Im schlimmsten Fall kann ein Richter noch jahrzehntelang Urteile fällen, die der Lebenswirklichkeit ganzer Generationen widersprechen. Krassestes Beispiel dafür ist die Entscheidung des Supreme Court 1857, Schwarzen aus rassistischen Gründen grundsätzlich Bürgerrechte abzusprechen.
Die auf eine Art „eingeschränkte Ewigkeit“angelegte Praxis, Ämter ohne zeitliche Begrenzung zu vergeben, ist ja auch in anderen Bereichen des Lebens zu beobachten. Der Papst wird auf Lebenszeit gewählt, und die ganze Welt musste mit ansehen, unter welchen Qualen der kranke Johannes Paul II. diesen Auftrag erfüllte. Sein Nachfolger traf die kluge Entscheidung, sich mit zunehmendem Alter und abnehmender Gesundheit zurückzuziehen.
Zeit und Zeitumstände sind generell ein Fak- tor, der die Bedeutung von Lehren und Regelwerken verändern kann. So denkt heute kaum noch jemand daran, die Bibel Wort für Wort auszulegen, vielmehr wird sie interpretiert, werden ihre „Wahrheiten“im Licht heutiger Umstände gesehen und neu verstanden. Der Koran hat diese Entwicklung noch vor sich. Einer der Gründe für viele radikale, rückwärtsgewandte Erscheinungen in der islamischen Welt liegen darin, dass er als unveränderliches Wort eines Allmächtigsten gilt, das nur als allgemein gültig und nicht unter dem Blickwinkel modernen Lebens interpretiert werden darf.
Die Demokratie der USA ist mit 242 Jahren in die Jahre gekommen. Viele ihrer Institutionen und Regelwerke bedürfen der Anpassung an moderne Gegebenheiten. Dazu gehört die Bestellung von Richtern „auf Lebenszeit“genauso wie das anachronistische Wahlsystem mit den Wahlmännern.