Auftragsmord als Betriebsunfall
Das saudische Königshaus will im Fall Khashoggi mit einem abstrusen Teilgeständnis den Imageschaden begrenzen und erhält dabei offenbar Rückendeckung aus Washington.
In Beirut und anderen Städten des Nahen Ostens kursieren Fotos, auf denen sauber abgetrennte Arme und Beine zu sehen sind, bei denen es sich angeblich um Teile der Leiche von Jamal Khashoggi handle. Die grauenvollen Aufnahmen, betonen Experten, seien mit Sicherheit Fake News. Sie sollen die ohnehin schlechte Stimmung gegen den saudischen Kronprinzen weiter anheizen.
Um der „Verleumdungskampagne“entgegenzuwirken, hat das Regime in Riad seine Verbündeten im Nahen Osten aufgefordert, dem Königshaus mit zum Teil grotesken Lobhudeleien den Rücken zu stärken. So pries der libanesische Großmufti, Scheich Abdul Latif Deryan, die saudischen Herrscher am Dienstag als „weise, rationale Regenten“, die sich nun Hetztiraden ausgesetzt sähen, welche die Gefühle von einer Milliarde muslimischer Gläubiger zutiefst verletzt hätten. Regierungssprecher in Bahrain, Abu Dhabi und Kairo verteidigten das Königshaus, das sich die Bekämpfung des Terrorismus auf seine Fahnen geschrieben habe, als einen Grundpfeiler der Stabilität.
Im eklatanten Widerspruch dazu teilte ein hochrangiger türkischer Behördenvertreter am Dienstag mit, dass die Polizei einen „gewissen Beweis“für die Ermordung Khashoggis im saudischen Konsulat in Istanbul bei der Durchsuchung dort gefunden habe. Das saudische Konsulat war zuvor neun Stunden lang durchsucht worden.
Für die also höchstwahrscheinliche Ermordung von Jamal Khashoggi wird in der arabischen Welt bisher keine Erklärung gesucht. Stattdessen verkündeten jetzt mindestens acht arabische Staaten hochoffiziell, dass sie – geschehe, was wolle – an der Seite ihrer von „heimtückischen Feinden“angegriffenen saudischen Brüder stünden.
Diese befinden sich seit genau zwei Wochen in akutem Erklärungsnotstand. Nicht einmal die Verbündeten in den USA wollen glauben, dass Jamal Khashoggi am 2. Oktober das saudische Generalkonsulat in Istanbul lebendig verlassen hat, wie Riad dies bis heute gebetsmühlenartig beteuert. Um den immensen Imageschaden zumindest zu begrenzen, müsste Riad daher eine glaubwürdigere Version der Ereignisse in Istanbul präsentieren. Das ist bisher nicht geschehen. Laut CNN und Al Dschasira will Riad den Mord an dem Journalisten als eine Art Versehen oder „bedauerlichen Betriebsunfall“darstellen.
Der Saudi sei während einer zu forsch geführten Befragung kollabiert und dann „völlig unerwartet gestorben“, heißt es hier. Das „außer Kontrolle geratene Interview“sei ohne Genehmigung aus Riad geführt worden. Die Verantwortlichen würden zur Rechenschaft gezogen. Die 14 saudischen Geheimpolizisten sowie der Forensiker, die vor der Ermordung des 59-jährigen Journalisten nachweislich extra nach Istanbul eingeflogen wurden, fehlen bisher in der revidierten Geschichte aus 1001 Nacht.
Trotzdem kann sich US-Präsident Donald Trump mit einem Teilgeständnis der Saudis anfreunden. Der saudische König habe im Telefongespräch mit ihm angedeutet, dass „boshafte Killer“am Werk gewesen seien. Salman habe ihm „ganz entschieden“versichert, „von nichts gewusst zu haben“. Was vermutlich sogar stimmt. Denn nicht der demente Saudi-König, sondern dessen Lieblingssohn, Kronprinz Mohammed bin Salman (MBS), hält in Riad das Heft des Handelns fest in der Hand. Fast alle Experten nehmen an, dass er auch die Ermordung Jamal Khashoggis befohlen hat. „MBS war geradezu besessen von dem Gedanken, mit Khashoggi das letzte Schwergewicht unter den Regimekritikern zu liquidieren“, sagt ein in Beirut akkreditierter Diplomat aus der arabischen Golfregion im SN-Gespräch. „Und er geht noch immer fest davon aus, dass die Amerikaner diesen Mord auch schlucken werden.“
Tatsächlich sind die USA im Nahen Osten auf Saudi-Arabien als Bündnispartner im Ringen mit dem Iran angewiesen. Von einer Schwächung der Allianz könnte Teheran profitieren. Das heißt aber nicht, dass Washington seine Nahostpolitik ausschließlich auf den als unberechenbar und impulsiv beschriebenen Königssohn abstützen muss. „Mittelfristig“, so arabische Diplomaten in der libanesischen Hauptstadt, „dürften die Amerikaner nach Wegen suchen, um MBS kaltzustellen oder ihn loszuwerden.“