Wer Europa schützen will, muss Afrika retten
Warum die Festung Europa ohne radikale Änderung der Afrikapolitik wie eine Sandburg in der Sonne zerbröseln wird.
Keine postkoloniale Almosenzuwendung
Die österreichische EURatspräsidentschaft propagiert ein „Europa, das schützt“. Im Mittelpunkt stehen der bisherige und künftige Migrationsdruck sowie die Frage, wie man diesem Herr werden könne. Offizielles politisches Ziel ist der Schutz der Außengrenzen durch den Aufbau einer EU-Truppe mit mindestens 10.000 Mann. Außerdem sollen die nordafrikanischen Staaten, von deren Stränden aus Hunderttausende den gefährlichen Seeweg nach Europa einschlagen, keine Menschen mehr von Land gehen lassen, sondern in Anlandezentren aufhalten. Dort sollen sie dann ein Einreiseverfahren in die EU abwarten.
Diese Vorhaben sind angesichts der Ereignisse vom Herbst 2015 und dem daraus entstandenen Vertrauensverlust der Menschen in ihre Heimatstaaten verständlich. Das Problem lösen sie nicht. Es werden damit nur die Symptome kuriert.
Laut dem jüngsten UNICEF-Bericht „Generation 2030“wird sich die Zahl der Einwohner Afrikas bis zum Jahr 2050 von derzeit rund einer Milliarde auf mehr als zwei Milliarden verdoppeln. Die Menschen sind jung, 60 Prozent der 15- bis 24-Jährigen schon jetzt arbeitslos. Was das Problem verschärft: Eine junge Bevölkerung wirkt sich nur dann positiv aus, wenn Hoffnung für sie besteht, dass es eines Tages besser wird. Weniger Hunger, mehr Bildung, gute Wirtschaft, endlich ein Job.
Es gibt keine allgemeine Pensionsversicherung. Deshalb ist die Geburtenrate in Afrika extrem hoch. Viele Kinder zu haben bedeu- tet eine sichere Altersversorgung. Nicht die Pille oder Kondome werden zu einer Wende führen, sondern die Einführung einer Pensionsversicherung für alle und Bildung für alle. Solange sich nichts ändert, geht die Bevölkerungsexplosion weiter. Der Druck auf Europa wird steigen. Die besten Abwehrmaßnahmen werden nichts nützen. Kommt es nicht zu einer radikalen Änderung der Afrikapolitik, wird die Festung Europa zerbröseln wie eine Sandburg in der Sonne.
Was muss anders werden? Die EU muss ihre Handels- und Förderpolitik ändern. Es darf nicht sein, dass subventionierte europäische Dumpingprodukte auf Afrikas Märkten die heimischen Produkte verdrängen und den Bauern die Existenzgrundlage rauben.
Es darf nicht sein, dass die Welt wie in den vergangenen 60 Jahren zwei Billionen Dollar als Entwicklungshilfe nach Afrika überweist, das meiste Geld jedoch auf den Schweizer Nummernkonten korrupter Diktatoren landet.
Der äthiopisch-deutsche Experte Asfa-Wossen Asserate forderte kürzlich in Salzburg bei einer Tagung des Instituts der Regionen Europas (IRE) die EU dazu auf, ihre Appeasement-Politik gegenüber afrikanischen Gewaltherrschern zu beenden. Sein kämpferischer Bestseller über die große Völkerwanderung stand Pate für den Titel dieses Leitartikels.
Es geht nicht darum, noch mehr Geldgeschenke nach Afrika zu überweisen. Mit Almosen, die noch dazu bei den Falschen landen, wird der Kontinent nicht gerettet. Es geht um eine neue Wirtschaftspolitik auf Augenhöhe, es geht um Bildung, Investitionen und die Schaffung von Arbeitsplätzen. China, das seit Jahren auf Rohstoff-Raubzug in Afrika alles aufkauft, gewährt seinen Investoren eine kostenlose Ausfallversicherung in Höhe von 100 Prozent der eingesetzten Gelder. Täte Europa Ähnliches, könnten die tatsächlichen Investitionen in Afrika vervielfacht werden.
Der Experte Asserate geht davon aus, dass in Afrika in den nächsten zehn Jahren 20 Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen werden müssen, um die Ursachen für die bevorstehende große Völkerwanderung wirksam zu bekämpfen.
Dieses Ziel erreichen wir nicht über Deals mit zweifelhaften Potentaten. Europa muss auf gute Regierungsführung drängen und den Uneinsichtigen den Geldhahn abdrehen beziehungsweise darauf einwirken, dass auch die anderen großen Geberländer das tun. Nur dann besteht eine Chance für eine neue Ära.
Und noch eines: Wir sollten uns vom Ausdruck „Entwicklungshilfe“verabschieden. Diese Völker sind längst entwickelt. Die Zeit der postkolonialen Almosenzuwendung ist vorbei. Angesagt ist eine wirtschaftliche und gesellschaftliche Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit dem Ziel, dass die Menschen aus freien Stücken dort bleiben können, wo sie gern sind: zu Hause.