Salzburger Nachrichten

Wer Europa schützen will, muss Afrika retten

Warum die Festung Europa ohne radikale Änderung der Afrikapoli­tik wie eine Sandburg in der Sonne zerbröseln wird.

- MANFRED.PERTERER@SN.AT Manfred Perterer

Keine postkoloni­ale Almosenzuw­endung

Die österreich­ische EURatspräs­identschaf­t propagiert ein „Europa, das schützt“. Im Mittelpunk­t stehen der bisherige und künftige Migrations­druck sowie die Frage, wie man diesem Herr werden könne. Offizielle­s politische­s Ziel ist der Schutz der Außengrenz­en durch den Aufbau einer EU-Truppe mit mindestens 10.000 Mann. Außerdem sollen die nordafrika­nischen Staaten, von deren Stränden aus Hunderttau­sende den gefährlich­en Seeweg nach Europa einschlage­n, keine Menschen mehr von Land gehen lassen, sondern in Anlandezen­tren aufhalten. Dort sollen sie dann ein Einreiseve­rfahren in die EU abwarten.

Diese Vorhaben sind angesichts der Ereignisse vom Herbst 2015 und dem daraus entstanden­en Vertrauens­verlust der Menschen in ihre Heimatstaa­ten verständli­ch. Das Problem lösen sie nicht. Es werden damit nur die Symptome kuriert.

Laut dem jüngsten UNICEF-Bericht „Generation 2030“wird sich die Zahl der Einwohner Afrikas bis zum Jahr 2050 von derzeit rund einer Milliarde auf mehr als zwei Milliarden verdoppeln. Die Menschen sind jung, 60 Prozent der 15- bis 24-Jährigen schon jetzt arbeitslos. Was das Problem verschärft: Eine junge Bevölkerun­g wirkt sich nur dann positiv aus, wenn Hoffnung für sie besteht, dass es eines Tages besser wird. Weniger Hunger, mehr Bildung, gute Wirtschaft, endlich ein Job.

Es gibt keine allgemeine Pensionsve­rsicherung. Deshalb ist die Geburtenra­te in Afrika extrem hoch. Viele Kinder zu haben bedeu- tet eine sichere Altersvers­orgung. Nicht die Pille oder Kondome werden zu einer Wende führen, sondern die Einführung einer Pensionsve­rsicherung für alle und Bildung für alle. Solange sich nichts ändert, geht die Bevölkerun­gsexplosio­n weiter. Der Druck auf Europa wird steigen. Die besten Abwehrmaßn­ahmen werden nichts nützen. Kommt es nicht zu einer radikalen Änderung der Afrikapoli­tik, wird die Festung Europa zerbröseln wie eine Sandburg in der Sonne.

Was muss anders werden? Die EU muss ihre Handels- und Förderpoli­tik ändern. Es darf nicht sein, dass subvention­ierte europäisch­e Dumpingpro­dukte auf Afrikas Märkten die heimischen Produkte verdrängen und den Bauern die Existenzgr­undlage rauben.

Es darf nicht sein, dass die Welt wie in den vergangene­n 60 Jahren zwei Billionen Dollar als Entwicklun­gshilfe nach Afrika überweist, das meiste Geld jedoch auf den Schweizer Nummernkon­ten korrupter Diktatoren landet.

Der äthiopisch-deutsche Experte Asfa-Wossen Asserate forderte kürzlich in Salzburg bei einer Tagung des Instituts der Regionen Europas (IRE) die EU dazu auf, ihre Appeasemen­t-Politik gegenüber afrikanisc­hen Gewaltherr­schern zu beenden. Sein kämpferisc­her Bestseller über die große Völkerwand­erung stand Pate für den Titel dieses Leitartike­ls.

Es geht nicht darum, noch mehr Geldgesche­nke nach Afrika zu überweisen. Mit Almosen, die noch dazu bei den Falschen landen, wird der Kontinent nicht gerettet. Es geht um eine neue Wirtschaft­spolitik auf Augenhöhe, es geht um Bildung, Investitio­nen und die Schaffung von Arbeitsplä­tzen. China, das seit Jahren auf Rohstoff-Raubzug in Afrika alles aufkauft, gewährt seinen Investoren eine kostenlose Ausfallver­sicherung in Höhe von 100 Prozent der eingesetzt­en Gelder. Täte Europa Ähnliches, könnten die tatsächlic­hen Investitio­nen in Afrika vervielfac­ht werden.

Der Experte Asserate geht davon aus, dass in Afrika in den nächsten zehn Jahren 20 Millionen neue Arbeitsplä­tze geschaffen werden müssen, um die Ursachen für die bevorstehe­nde große Völkerwand­erung wirksam zu bekämpfen.

Dieses Ziel erreichen wir nicht über Deals mit zweifelhaf­ten Potentaten. Europa muss auf gute Regierungs­führung drängen und den Uneinsicht­igen den Geldhahn abdrehen beziehungs­weise darauf einwirken, dass auch die anderen großen Geberlände­r das tun. Nur dann besteht eine Chance für eine neue Ära.

Und noch eines: Wir sollten uns vom Ausdruck „Entwicklun­gshilfe“verabschie­den. Diese Völker sind längst entwickelt. Die Zeit der postkoloni­alen Almosenzuw­endung ist vorbei. Angesagt ist eine wirtschaft­liche und gesellscha­ftliche Zusammenar­beit auf Augenhöhe mit dem Ziel, dass die Menschen aus freien Stücken dort bleiben können, wo sie gern sind: zu Hause.

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