Ein Budgetloch klafft in Italien
Nicht nur die EU-Kommission kritisiert den Bruch der Defizitregeln in Rom. Doch was nun?
BRÜSSEL. Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte war beim EU-Gipfel diese Woche ein gefragter Mann. Die deutsche Bundeskanzlerin traf sich schon davor mit ihm, ebenso der niederländische Premier Mark Rutte. Und auch Kanzler Sebastian Kurz nahm Conte am Freitag beim EU-Asien-Treffen noch schnell zur Seite. Der Grund: der umstrittene Budgetentwurf der immerhin drittgrößten EU-Volkswirtschaft, der laut EU-Kommission eine „beispiellose Abweichung“von den Kriterien des Stabilitätspaktes darstellt.
Italiens populistische Regierung aus EU-kritischer Fünf-Sterne-Bewegung und rechter Lega plant eine Neuverschuldung von 2,4 Prozent – drei Mal so viel wie mit Brüssel vereinbart – sowie kostspielige Ausgaben, darunter die Einführung eines Grundeinkommens und einer Flat Tax. 15 Milliarden Euro will Italien für öffentliche Infrastruktur wie Brücken, Straßen und Bahnlinien ausgeben. Eine ähnliche Summe soll eine umstrittene Steueramnestie einbringen, wenn Steuerhinterzieher ihr Geld legalisieren.
Österreich werde sicher nicht für die Schulden anderer und für linkspopulistische Wahlversprechen bezahlen, sagte Kurz in Brüssel. „Wir erwarten uns von der italienischen Regierung, dass Regeln eingehalten werden“, sagte er und will das im Rahmen des EU-Ratsvorsitzes Conte noch schriftlich mitteilen.
Der Brief der EU-Kommission zum Budget ist bereits am Donnerstag in Italien eingetroffen. EU-Wirtschaftskommissar Pierre Moscovici hat ihn persönlich an Finanzminister Giovanni Tria übergeben. Bis Montag hat Rom Zeit zu erklären, warum es solche Abweichungen von den EU-Empfehlungen plant. Die Kommission muss bis Ende Oktober entscheiden, ob sie klein beigibt oder – erstmals seit Einführung der Vorabkontrollen – den Haushaltsentwurf zurückweist und eine Korrektur verlangt.
Da Italien nicht einlenken wird, was Premier Conte bereits ankündigte, wird es schwierig: Die Brüsseler Behörde kann dann nur ein Defizitverfahren starten und das dauert. Zudem wird befürchtet, dass es den neuen starken Männern, Lega-Chef Matteo Salvini und Fünf-Sterne-Bewegungs-Chef Luigi Di Maio, die schon jetzt die EU als Sündenbock verwenden, zusätzlichen Zündstoff für die EU-Wahlen gibt.
Kommissionspräsident JeanClaude Juncker hat Vorwürfe, Brüssel gehe zu hart mit Italien um, zurückgewiesen. In den vergangenen drei Jahren habe es 30 Mrd. Euro mehr ausgeben dürfen, ohne Sanktionen befürchten zu müssen. „Wir waren sehr freundlich, milde, positiv zu Italien, weil Italien Italien ist“, sagte er am Rande des Gipfels.
Die Finanzmärkte haben den Budgetstreit mit Italien seit Wochen im Blick. Am Freitag lag der Risikoaufschlag für zehnjährige italienische Staatsanleihen verglichen mit deutschen bei mehr als drei Prozentpunkten – so hoch wie während der europäischen Schuldenkrise 2012. Die Verzinsung der italienischen Anleihen kletterte auf 3,78 Prozent, den höchsten Stand seit viereinhalb Jahren. Das verteuert die Finanzierung und vor allem den Abbau der enormen Schulden deutlich. Aus Sicht von Daniel Gros vom Center for European Policy Studies ist das hohe Defizit zwar keine „drohende Katastrophe“, aber eine vergebene Chance. Auch Moscovici betonte am Freitag, er sehe keine Gefahr, dass die Nervosität auf den Märkten wegen Italien auf die Eurozone übergreife.
Allerdings überprüfen die Ratingagenturen demnächst die Kreditwürdigkeit des Landes, S&P nächsten Freitag, Moody’s Ende Oktober. Im Falle einer Herabstufung wäre Italien nur noch einen Schritt vom sogenannten Ramsch-Status entfernt. Würde die Bonität dann erneut herabgestuft, dürften Investoren ihr Geld nicht mehr in italienische Staatsanleihen stecken.