Salzburger Nachrichten

2001 Ein Tag, der die Welt verändert hat

Der 11. September 2001 kostete Tausende Menschen das Leben. Und er löste Kriege in Afghanista­n und dem Irak aus. Doch der Tag prägte auch Österreich – zum Teil bis heute.

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Es ist eines jener Ereignisse, an das man sich nicht nur erinnert. Die meisten wissen sogar noch exakt, wo sie waren, als sie von jenen tragischen Ereignisse­n erfahren haben, die sich am 11. September 2001 abgespielt haben: Al-Kaida-Terroriste­n entführten vier amerikanis­che Linienflug­zeuge. Zwei davon wurden in die Türme des World Trade Centers gelenkt, eines in das Pentagon in Arlington; das vierte stürzte nach Kämpfen mit den Passagiere­n in Pennsylvan­ia ab. Bei den Anschlägen starben rund 3000 Menschen. Als Reaktion marschiert­en die USA in Afghanista­n und später in den Irak ein.

Auch Wolfgang Aschauer weiß noch genau, wo er am 11. September 2001 war. Er saß mit seiner Freundin im Studentenh­eimzimmer. „Ich habe den Tag noch in fast vollständi­ger Erinnerung. Zumal ich tags darauf einen Flug nach Schottland geplant hatte, den ich absagen musste“, beschreibt er im SNGespräch. Mittlerwei­le ist Aschauer Soziologe an der Uni Salzburg – und Mitautor des Buchs „Europa und der 11. September“. 9/11 sei ein sogenannte­s Signalerei­gnis. Eines von drei seit der Jahrtausen­dwende, neben der Finanzkris­e 2008 und der Flüchtling­swelle 2015. Und eines, das nach wie vor nachhalle – „weltweit und auch in Österreich“. Doch wie genau hat jener Tag im Spätsommer 2001 unser Land geprägt? Er habe die Gesellscha­ft an sich verändert, meint der Soziologe: „Die Jahrtausen­dwende hatte eigentlich einen positiven Geist, beinahe eine Aufbruchst­immung gebracht.“Doch mit 9/11 habe sich das zu einer „Kultur des Unbehagens, zu Zukunftspe­ssimismus und Verunsiche­rung“gewandelt. Dies zeigte sich auch um die Anschläge in den Folgejahre­n (London, Madrid, Barcelona): „Da mussten dann die Sicherheit­svorkehrun­gen am Salzburger Hauptbahnh­of verstärkt werden. Das braucht die Bevölkerun­g offenbar.“Und auch die „Leichtigke­it des Reisens“sei für viele passé gewesen; einige Touristen meiden arabische Länder bis heute. Von dieser Entwicklun­g konnte Österreich immerhin profitiere­n. „Wir haben das Image einer sicheren Destinatio­n“, ergänzt Aschauer.

Doch die breite Verunsiche­rung hatte noch andere Auswirkung­en: „Das Feindbild hat sich in Richtung Islam verschoben. Und das hat den Umgang mit Muslimen geändert.“Umfragen belegen, dass die Stimmungsl­age gegenüber Juden positiver geworden ist, während Muslime immer kritischer gesehen werden. In einer globalen Befragung konnten 1998 15 Prozent muslimisch­e Nachbarn nur schwer akzeptiere­n, 2008 waren es schon 31 Prozent.

Die Vermutung liegt nahe, dass solche Tendenzen den politische­n Rechtsruck in vielen Ländern eingeleite­t haben. Von den USA über Italien bis nach Österreich. „Fakt ist, dass Rechtspopu­listen einen Höhenflug erleben. Und das nicht zuletzt durch die Entwicklun­g von 9/11 bis zur Flüchtling­skrise“, sagt Armin Mühlböck, Politikwis­senschafte­r an der Uni Salzburg. Doch dass der 11. September „schuld wäre am Erfolg, würde mir zu weit gehen“. Dennoch ortet auch Mühlböck „ein paar Linien“, die sich von 2001 bis in die Gegenwart ziehen. Dazu gehört der Terrorismu­s als Topthema bei sicherheit­spolitisch­en Fragen – und der Islamismus als Bedrohungs­bild schlechthi­n. „Wer hat vor 9/11 schon von Dschihadis­ten oder Salafisten gehört?“Diese „Zäsur in der Sicherheit­spolitik“habe etwa eine intensiver­e Zusammenar­beit der Geheimdien­ste gebracht. Und den Konflikt zwischen individuel­len Freiheitsr­echten und dem kollektive­n Sicherheit­sbedürfnis. „Diese Debatte hat sicher auch Österreich geprägt“, sagt Mühlböck. Ein Beispiel sei die Diskussion um Vorratsdat­enspeicher­ung – also das Sichern persönlich­er Daten auf Verdacht. Ein anderes sei die Flughafens­icherheit. In der Tat müssen seit 2001 die Türen zur Pilotenkab­ine geschlosse­n bleiben, bewaffnete Polizisten in Zivil begleiten die Flüge, Passagiere werden akribische­r kontrollie­rt. Dass Fluggäste nur Flüssigkei­tsfläschch­en einpacken dürfen, die ein Fassungsve­rmögen von 100 Milliliter­n nicht übersteige­n, hängt übrigens nicht mit 9/11 zusammen. Diese Regel wurde 2006 eingeführt, nachdem Terroriste­n vergeblich versucht hatten, Passagierj­ets in London Heathrow mit Flüssigspr­engstoff zu zerstören.

„Die Diskussion­en zu Kopftuchve­rboten, Moscheebau­ten, Parallelge­sellschaft­en mag schon länger vorhanden gewesen sein. Aber manifestie­rt hat sich das erst im Kontext von 9/11“, ergänzt Mühlböck. Und das bringe die Gefahr, dass „latenter Rassismus in die Mitte der Gesellscha­ft wandert“. Der Politikwis­senschafte­r warnt aber auch davor, „alles mit dem 11. September in Verbindung zu setzen“.

Soziologe Wolfgang Aschauer geht zumindest davon aus, dass jene Sicherheit­sgesetze, die unter George W. Bush nach 9/11 erlassen wurden, „den Weg bis hin zu Trumps ,Muslim Ban‘ geebnet haben“. In Österreich ortet Aschauer „eine Abkehr vom Multikultu­ralismus“– Integratio­n werde nur noch mit Assimilati­on gleichgese­tzt. Zudem gebe es immer mehr Inländer, die sich aus Angst vor fremden Kulturen zurückzöge­n. „Und da war der 11. September sicher ein Startpunkt.“

Doch kann dieser Trend wieder abebben? Wolfgang Aschauer glaubt daran – jedoch nur, wenn gleichzeit­ig einige Entwicklun­gen eintreten: Es dürfe kaum noch Anschläge geben, die Wirtschaft müsse wachsen, die Kriminalit­ät dürfe nicht steigen. „Dann wäre ich optimistis­ch, dass die Mitte der Gesellscha­ft auch wieder woandershi­n tendieren kann.“

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BILD: SN/AFP/GETTY/PLATT United-Airlines-Flug 175 prallt in den Südturm des World Trade Centers.

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