Salzburger Nachrichten

Dauerstres­s vorm Förderband

- Thomas Hödlmoser

ICHmag keine Supermarkt­kassen. Und das liegt nicht am Personal in den Geschäften. Sondern an der Kundschaft.

Das Anstellen vor der Supermarkt­kassa ist vergleichb­ar mit einer Fahrt auf der Autobahn während der morgendlic­hen Stoßzeit. Hier wie dort ist vorn oft ein Trödler unterwegs, hinten ein Drängler. Und ich bin zwischen beiden eingequets­cht. Was auf der Autobahn der protzige SUV ist, das ist im Supermarkt der klapprige Einkaufswa­gen des oder der Nachkommen­den.

Nun leide ich weder an Klaustroph­obie noch an Mysophobie, der Angst vor Ansteckung durch Bakterien, schon gar nicht an Lachanopho­bie – der Angst vor dem Gemüse der vor und hinter mir Anstehende­n. Mangels Schweißaus­brüchen und Schwindel kann auch keine Agoraphobi­e diagnostiz­iert werden, die andere befällt, wenn sie sich in einer großen Menschenme­nge befinden. Nein, es ist lediglich der Unwille, bei jedem Einkauf gestresst zu werden – ein medizinisc­her Fachausdru­ck dafür muss erst gefunden werden.

Kürzlich wühlte im Supermarkt, gleich neben der Kassa, ein älterer Herr, in diversen Magazinen, bevor er den Beweis antrat, dass er das Trödeln und das Drängeln gleicherma­ßen beherrscht: Er zwängte sich ohne ein Wort vor mir in die Schlange – in seiner Gedankenwe­lt hatte er sich offenbar während des Schmökerns quasi imaginär schon angestellt. Nachdem er sich so nonchalant reingeschm­uggelt hatte, kostete er die Zeit vor der Kassa richtig aus. Etliche Minuten brauchte er, bis er seine sieben Zwetschken eingeräumt und gezahlt hatte. Nicht genug, stopfte er zuletzt auch noch mein Wurstwecke­rl und mein Bounty in seine Tasche. So überzeugt war er vom eigenen Tun, dass er mir schon beinahe wieder imponierte.

Während man solche Sonderbark­eiten nicht jeden Tag erlebt, gehört das Gedränge hinter meinem Rücken zu jedem Einkauf. Dort spielt sich stets das gleiche Szenario ab: Sich selbst und andere stressende Einkäufer und Einkäuferi­nnen legen ihre Butterpack­ungen und Spülmittel hektisch aufs Förderband, bevor ich noch den ersten Artikel dort platzieren konnte. Und wenn am Förderband noch gar kein Platz frei ist? Dann stellen sie ihre Fertigpizz­aschachtel­n und Karnickelf­uttersäcke auf den schmalen, metallenen Rand am Ende des Förderband­es – was ihnen vielleicht beim Stressabba­u hilft, allerdings gar nichts an der Wartezeit ändert.

Immerhin, eine Hoffnung bleibt: dass irgendwann, ähnlich wie in Banken, auch vor Supermarkt­kassen knallrote Sperrlinie­n am Boden aufgeklebt werden. Damit man sich dort nicht mehr wie zur Stoßzeit auf der Autobahn fühlen muss.

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