Vom Wirt zum Forscher
Roland Essl, legendärer Wirt im Weiserhof, ist nun als Forscher und Suchender der vergessenen alpenländischen Küche auf der Spur.
Roland Essl verabschiedete sich im Frühjahr vom Weiserhof und geht nun neue Wege: Er jagt dem alpenländischen Essen und seinen Geschichten nach, forscht nach Rezepten und macht sie ab sofort samstags in der SN-Kolumne „Gerichte mit Geschichte“den Salzburgern zugänglich. SN: Herr Essl, wachen Sie in der Nacht noch schweißgebadet auf, weil Sie träumen, dass es in der Küche brennt? Nein, das Kapitel ist abgeschlossen. SN: Fehlt Ihnen der Weiserhof gar nicht? Seine Kolumne heißt „Gerichte mit Geschichte“und erscheint ab sofort jeden Samstag im Lokalteil der SN. Erstmals bekommen die Salzburgerinnen und Salzburger damit die Möglichkeit, rare alpenländische Gerichte daheim nachzukochen. Denn Essl liefert auch die Rezepte dazu.
In der alpenländischen Kochkunstgeschichte muss man auch über den Zaun schauen – in die Nachbartäler, Regionen und Länder. Denn Nein. Ich habe mir so lange gewünscht, die alpenländische Küche erforschen zu können. Jetzt habe ich endlich die Zeit dazu. Ich lese derzeit wahnsinnig viel. Ich bin kein Wissenschafter, ich bin ein Suchender, der alpine Gerichte und ihre Geschichten erforscht. Und obwohl Salzburg so klein ist, ist es unglaublich vielfältig. Im Norden waren die Germanen, im Süden die Slawen, dazwischen der Tauern – und die Küche war überall anders. SN: Sie sind also wieder Herr über sich selbst? Ja, nur die Lebensgefährtin verfügt über mich (lacht). Wir haben einen kleinen Hof mit 50 Hühnern, Schafen, ein bissl Wald und die alpenländische Küche ist durch ihre Geschichte und historischen Ereignissen in sich versponnen. eigener Metzgerei. Das ist der Sauerstoff, der Ausgleich. Sonst bin ich unterwegs, radle, suche Informationen. Jetzt zum Beispiel beim Bauernherbst. Die alten Bäuerinnen interessieren mich besonders. Die kennen die authentischen Geschichten vom Kochen der letzten 200 Jahre. Denn die Festtagsküche, die heute Männer dominieren, war früher auch in Frauenhand. SN: Was lehren Sie diese Frauen? Vor Kurzem war ich in Annaberg bei einem Krapfenessen. Da traf ich eine Pongauer Bäuerin mit einer wunderbaren Lebenseinstellung. Die hat ihr ganzes Leben gearbeitet. Heute versorgt sie die Im Laufe der Jahrhunderte seien viele unserer heute selbstverständlichen Lebensmittel wie Gemüse, Früchte, Getreide und Tierrassen hier erst heimisch geworden, sagt Essl. Die bäuerliche Küche unterscheidet Alltags-, Fasten- und Festtagsküche, daneben gibt es besondere Brauchtumsgerichte sowie Gerichte für außerordentliche Arbeiten oder Abschluss von Arbeitszyklen. Wer Anregungen hat: Roland Essl ist per E-Mail unter alpenkulinarik@ rolandessl.at erreichbar. Enkerl und macht die Krapfen wie vor 100 Jahren. Sie weiß aber auch, wie man früher eingekauft hat. Da gab es keinen Billa. SN: Es geht also mehr um die Geschichte des Essens als die Gerichte selbst? Klar interessieren mich die Gerichte. Da ging es früher ja oft um Traditionen, auch um Belohnung. Ende September gab es das Lichtbratl-Essen, es war der Tag, an dem künstliches Licht eingeschaltet wurde und man wieder länger arbeiten konnte. Oder das Essen zu Christi Himmelfahrt. Der hieß ja Auffahrtstag – und zum Essen gab es „a fliagats Fleisch“. Genial, oder? SN: Kochen Sie diese Neuentdeckungen alle selbst? Ja. Ich mache Rezepte, beschreibe die Zutaten und vor allem die Geschichte rund um das Essen. Das geht alles in eine Datenbank. SN: Sie studieren sozusagen in der Bauernstube. Genau.