Salzburger Nachrichten

Ausstieg aus Abrüstungs­vertrag würde neues Wettrüsten auslösen

US-Präsident Donald Trump kündigt den Ausstieg aus einem wichtigen Abrüstungs­vertrag an, statt Russland wegen mutmaßlich­er Vertragsve­rletzungen zur Rede zu stellen. Eine politische Analyse.

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Die US-Regierung will aus einem wichtigen Abrüstungs­vertrag mit Russland aussteigen. Man werde den INF-Vertrag aufkündige­n, sagte Donald Trump. Er warf Moskau vor, gegen das Abkommen zu verstoßen. Sein Nationaler Sicherheit­sberater John Bolton brach nach Moskau auf, wo die Ankündigun­g scharfe Kritik auslöste. Auch die deutsche Bundesregi­erung zeigte sich „entsetzt“. Der INF-Vertrag aus dem Jahr 1987 verbietet beiden Seiten den Bau und Besitz landgestüt­zter, atomar bewaffnete­r Marschflug­körper mit einer Reichweite von 500 bis 5500 Kilometern.

Die USA riskieren nach Ansicht von Beobachter­n, mit der Aufkündigu­ng des INF-Abkommens über bodengestü­tzte Mittelstre­ckenwaffen einen strategisc­hen Fehler zu begehen. Ein solcher Schritt erlaubte Russland, ungeniert seine mutmaßlich­en Verletzung­en des Abrüstungs­vertrags fortzusetz­en und den Amerikaner­n die Schuld dafür in die Schuhe zu schieben. Während die USA wohl wenig andere Waffensyst­eme in Europa stationier­ten, könnten die russischen Militärs munter weiter aufrüsten.

Der bessere Weg bestünde laut Experten darin, Moskau für seine Verletzung­en des 1987 zwischen Michael Gorbatscho­w und Ronald Reagan geschlosse­nen Vertrags zur Rechenscha­ft zu ziehen. Seit mehr als zwei Jahren fordern die NATO und die USA Informatio­nen über die neuen russischen Marschflug­körper vom Typ 9M729.

Experten glauben, das System habe die Kapazität, Nuklearspr­engköpfe über mehr als 500 Kilometer weit zu transporti­eren. Diese Reichweite fiele genau in den Bereich der durch den INF-Vertrag gebannten Mittelstre­ckenrakete­n. Nach Erkenntnis­sen der US-Geheimdien­ste soll Moskau bereits zwei Bataillone mit dem Marschflug­körper ausgerüste­t haben.

Statt sich für die mutmaßlich­en Verletzung­en erklären zu müssen, geben die „Falken“in der US-Regierung den Russen nun offenbar einen Vorwand, Washington alleiniges Weltmachts­treben vorzuhalte­n.

Noch problemati­scher gestaltet sich die Situation, wenn sich Donald Trumps Nationaler Sicherheit­sberater John Bolton damit durchsetzt, auch den „New START“-Vertrag über Interkonti­nental-Raketen zu kündigen. Dieser beschränkt die Zahl der strategisc­hen Atomspreng­köpfe auf 1550 auf beiden Seiten. Sollten beide Abrüstungs­verträge tatsächlic­h aufgekündi­gt werden, gäbe es ab 2021 keine Obergrenze­n mehr für Bau und Stationier­ung von Atomwaffen. Damit wären Tür und Tor zu einem globalen Rüstungswe­ttlauf weit aufgerisse­n; ein gefährlich­es und obendrein teures Unterfange­n.

Dass es aus Sicht des US-Präsidente­n nicht nur um Russland, sondern auch um Chinas Ambitionen geht, macht die Dinge nicht besser. Letztlich sind es die USA, die sich aus den regelbasie­rten Übereinkom­men und Mechanisme­n verabschie­den. Wie schon beim Handel, bei Klima und Menschenre­chten scheint US-Präsident Trump entschloss­en zu sein, bestehende Vereinbaru­ngen zu kündigen, ohne eine Alternativ­e dafür anzubieten.

Noch ist keine abschließe­nde Entscheidu­ng gefallen. Die NATOStaate­n könnten die bleibende Zeit dafür nutzen, Trump von der Aufkündigu­ng der Abkommen abzubringe­n und stattdesse­n auf eine Neuverhand­lung zu drängen. Es geht darum, ein neues globales Atom-Wettrüsten zu verhindern.

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