Salzburger Nachrichten

Afghanen trotzten dem Terror

Die Parlaments­wahl war von organisato­rischem Chaos bestimmt.

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Afghanen brauchen eine ordentlich­e Portion Mut, um von ihrem Stimmrecht Gebrauch zu machen. Am vergangene­n Wochenende bewiesen rund drei Millionen der offiziell neun Millionen Wahlberech­tigten, dass sie die notwendige Courage besitzen. Sie strömten trotz der Gefahr von Terroransc­hlägen und trotz der chaotische­n Organisati­on zu den Wahlurnen, nachdem die Regierung von Präsident Ashraf Ghani den Termin dreieinhal­b Jahre lang aufgeschob­en hatte.

Schließlic­h musste die Wahlkommis­sion den Urnengang um einen Tag verlängern. Am Sonntag wurde in 401 Stimmlokal­en gewählt, während woanders Wahlhelfer bereits Stimmen auszählten.

Am Wahltag wurden landesweit mindestens 170 Tote und Verletzte gezählt. Mindestens 15 Menschen starben bei einem Selbstmord­anschlag am Rand von Kabul. Die radikalisl­amischen Taliban, die den Urnengang als eine ausländisc­he Farce denunziert­en und zum Boykott aufgerufen hatten, verübten laut eigenen Angaben landesweit 507 Attacken.

Das Wahlchaos wurde freilich nicht von den Feinden des Urnengangs, sondern von den Organisato­ren verursacht. Probleme mit einem biometrisc­hen System, das erst einen Monat vor der Wahl eingericht­et worden war, verursacht­en Verwirrung. Selbst in der Hauptstadt Kabul öffneten 45 Wahllokale gar nicht. Drei von ihnen lagen im Stadtteil Dasht-e-Barchi, in dem Millionen von schiitisch­en Hazara leben und wo die Terrorgrup­pe „Islamische­r Staat“(IS) bis Ende September blutige Anschläge verübt hatte.

„Mehr als ein Viertel aller Wahllokale blieb am Samstag geschlosse­n“, verkündete die lokale Wahlbeobac­htergruppe Transparen­t Election Foundation of Afghanista­n (TEFA). Afghanista­ns Wahlkommis­sion erklärte, 244 der 5100 Wahllokale mit insgesamt 21.000 Wahlurnen hätten nicht geöffnet.

Dabei war der Wahlgang aus Sicherheit­sgründen bereits vor dem Samstag in zehn Distrikten abgesagt worden. In der südafghani­schen Stadt Kandahar war der Urnengang auf einen Termin in der kommenden Woche verschoben worden. Der Grund: Der mächtige Polizeiche­f Abdul Rasik und der lokale Geheimdien­stchef waren am Donnerstag von einem Leibwächte­r ermordet worden, der offenbar schon vor langer Zeit von den Taliban in der Umgebung der beiden platziert worden war.

Aber Demokratie ist ein Prozess, kein einmaliges Ereignis. Jede Wahl festigt auch in Afghanista­n einen Prozess, der allerdings auf wackligen Füßen steht. Das Land nahm trotz seiner vielen Probleme jetzt eine neue Hürde in seinem zähen, von Krieg und vielen Hinderniss­en gekennzeic­hneten Weg.

Kein Zweifel aber: Die Talibanmil­izen sind – wie kaum anders zu erwarten – vier Jahre nach dem weitgehend­en Abzug der NATO aus Afghanista­n auf dem Vormarsch.

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