Martin Kušej zeigt zum Abschied seine Samtpfote
Der künftige Burg-Chef inszeniert in München „Der nackte Wahnsinn“und lässt den Regisseur „Martin K.“auftreten.
Türen und Sardinen. Darum geht’s im Leben. Oder zumindest in dem Stück „Der nackte Wahnsinn“, mit dem sich Martin Kušej am Freitag als Regisseur von seinem Münchner Publikum verabschiedete. Es wurde, gemessen am Premierenjubel, ein triumphaler Abschied. Obwohl Kušejs gerühmte Regiepranke diesmal eher einem Samtpfötchen glich.
Sollte der kommende Burgtheater-Intendant Kušej seine Inszenierung nach Wien übernehmen, wird er zumindest Kleinigkeiten ändern müssen. Einerseits lässt er das überforderte Ensemble mit dem Stück „Nackte Tatsachen“nicht durch die britische, sondern durch die bayerische Provinz tingeln, anderseits ist seine Bühnen-Kunstfigur, der Regisseur „Martin K.“(gespielt von Norman Hacker) in München bereits von seinen Wiener Aufgaben abgelenkt: Es sind die großen Shakespeare-Brocken „Richard III“und „Hamlet“, die er in Wien probt, während in seiner Boulevardtruppe „Der nackte Wahnsinn“ausbricht.
Hacker zeichnet „Martin K.“keineswegs als Regieberserker, sondern als genervten, nicht unsympathischen, sowie Techtelmechteln mit Hauptdarstellerinnen und Regieassistentin keineswegs abgeneigten Routinier, der hier nicht große Kunst machen, sondern das Werkel einfach gut geölt zum Laufen bringen will.
Kušej gleicht seiner Kunstfigur beim Inszenierungsansatz. Er hat offenbar schnell erkannt, dass zusätzliche doppelte Böden den ohnehin komplex konstruierten KlippKlapp-Mechanismus des Stückes außer Gefecht setzen würden – und sich damit zufriedengegeben, das Bühnenchaos hübsch anzurichten.
Michael Frayns Stück ist die mit Abstand erfolgreichste Backstage Comedy der vergangenen Jahrzehnte im Repertoire der „seriösen“Bühnen. Als „große Liebeserklärung an das Theater, an die Kunst, an den Menschen“war Kušejs Inszenierung angekündigt. Das wirkt als Resümee ein wenig zu hoch gegriffen. Das Konzept des Abends ist es, die kleinen Schwächen der Beteiligten ernst zu nehmen und in ihrer Wirkung zu vergrößern. Kein Mitglied dieser immer zerstrittener werdenden Provinztruppe wird lächerlich gemacht. Dafür bleibt die Atmosphäre muffig-liebenswürdig, statt in höhere, allegorische Sphären abzuheben. Annette Murschetz hat ein angemessen hässliches Doppelstockbühnenbild bereitgestellt. Jeder darf auch ein wenig sich selbst spielen und wird von den Kollegen abseits seiner Rolle mit dem echten Vornamen angesprochen – nur Genija Rykova bekam als bemühte wie bemitleidenswerte Regieassistentin den Vornamen der echten Regieassistentin verpasst: Mechthild. Alle genießen es, die Sau rauszulassen, von Till Firit als heimlichem Star der Truppe bis zu Sophie von Kessel, die als vollbusige, verwahrloste Haushälterin von Kostümbildnerin Heide Kastler fast zur Unkenntlichkeit verkleidet wurde.
Der Abend hat Rhythmusprobleme. Zu schnell bricht das Chaos aus, da bleiben für den zweiten, den Backstage-Akt, und den dritten, die Auflösung aller Ordnung in der letzten Vorstellung, kaum noch Steigerungsmöglichkeiten. Die leichte Muse ist Schwerarbeit – das ist die nackte Wahrheit über Theater, die dieser „nackte Wahnsinn“verrät. Doch mag kommen, was kommen mag, eines ist gewiss: Es geht doch nichts über einen schönen, großen Teller Sardinen. Theater: