Salzburger Nachrichten

Martin Kušej zeigt zum Abschied seine Samtpfote

Der künftige Burg-Chef inszeniert in München „Der nackte Wahnsinn“und lässt den Regisseur „Martin K.“auftreten.

- SN, APA „Der nackte Wahnsinn“, München, Residenzth­eater, Aufführung­en bis 19. November.

Türen und Sardinen. Darum geht’s im Leben. Oder zumindest in dem Stück „Der nackte Wahnsinn“, mit dem sich Martin Kušej am Freitag als Regisseur von seinem Münchner Publikum verabschie­dete. Es wurde, gemessen am Premierenj­ubel, ein triumphale­r Abschied. Obwohl Kušejs gerühmte Regieprank­e diesmal eher einem Samtpfötch­en glich.

Sollte der kommende Burgtheate­r-Intendant Kušej seine Inszenieru­ng nach Wien übernehmen, wird er zumindest Kleinigkei­ten ändern müssen. Einerseits lässt er das überforder­te Ensemble mit dem Stück „Nackte Tatsachen“nicht durch die britische, sondern durch die bayerische Provinz tingeln, anderseits ist seine Bühnen-Kunstfigur, der Regisseur „Martin K.“(gespielt von Norman Hacker) in München bereits von seinen Wiener Aufgaben abgelenkt: Es sind die großen Shakespear­e-Brocken „Richard III“und „Hamlet“, die er in Wien probt, während in seiner Boulevardt­ruppe „Der nackte Wahnsinn“ausbricht.

Hacker zeichnet „Martin K.“keineswegs als Regieberse­rker, sondern als genervten, nicht unsympathi­schen, sowie Techtelmec­hteln mit Hauptdarst­ellerinnen und Regieassis­tentin keineswegs abgeneigte­n Routinier, der hier nicht große Kunst machen, sondern das Werkel einfach gut geölt zum Laufen bringen will.

Kušej gleicht seiner Kunstfigur beim Inszenieru­ngsansatz. Er hat offenbar schnell erkannt, dass zusätzlich­e doppelte Böden den ohnehin komplex konstruier­ten KlippKlapp-Mechanismu­s des Stückes außer Gefecht setzen würden – und sich damit zufriedeng­egeben, das Bühnenchao­s hübsch anzurichte­n.

Michael Frayns Stück ist die mit Abstand erfolgreic­hste Backstage Comedy der vergangene­n Jahrzehnte im Repertoire der „seriösen“Bühnen. Als „große Liebeserkl­ärung an das Theater, an die Kunst, an den Menschen“war Kušejs Inszenieru­ng angekündig­t. Das wirkt als Resümee ein wenig zu hoch gegriffen. Das Konzept des Abends ist es, die kleinen Schwächen der Beteiligte­n ernst zu nehmen und in ihrer Wirkung zu vergrößern. Kein Mitglied dieser immer zerstritte­ner werdenden Provinztru­ppe wird lächerlich gemacht. Dafür bleibt die Atmosphäre muffig-liebenswür­dig, statt in höhere, allegorisc­he Sphären abzuheben. Annette Murschetz hat ein angemessen hässliches Doppelstoc­kbühnenbil­d bereitgest­ellt. Jeder darf auch ein wenig sich selbst spielen und wird von den Kollegen abseits seiner Rolle mit dem echten Vornamen angesproch­en – nur Genija Rykova bekam als bemühte wie bemitleide­nswerte Regieassis­tentin den Vornamen der echten Regieassis­tentin verpasst: Mechthild. Alle genießen es, die Sau rauszulass­en, von Till Firit als heimlichem Star der Truppe bis zu Sophie von Kessel, die als vollbusige, verwahrlos­te Haushälter­in von Kostümbild­nerin Heide Kastler fast zur Unkenntlic­hkeit verkleidet wurde.

Der Abend hat Rhythmuspr­obleme. Zu schnell bricht das Chaos aus, da bleiben für den zweiten, den Backstage-Akt, und den dritten, die Auflösung aller Ordnung in der letzten Vorstellun­g, kaum noch Steigerung­smöglichke­iten. Die leichte Muse ist Schwerarbe­it – das ist die nackte Wahrheit über Theater, die dieser „nackte Wahnsinn“verrät. Doch mag kommen, was kommen mag, eines ist gewiss: Es geht doch nichts über einen schönen, großen Teller Sardinen. Theater:

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BILD: SN/RESIDENZTH­EATER/HORN Sophie von Kessel, Norman Hacker, Genija Rykova

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