Die Revolution der Roboter
Künstliche Intelligenz verändert die Welt. Technologieexpertin Anastassia Lauterbach erklärt, warum Lkw-Fahrer schlechte Karten haben und Frauen die besseren Aufsichtsräte sind.
Sie sitzt in mehreren Aufsichtsräten, ist Technologieunternehmerin, Autorin und berät weltweit Betriebe beim Thema künstliche Intelligenz (KI): Anastassia Lauterbach gibt einen Ausblick in in die Zukunft.
SN: Künstliche Intelligenz wird unseren Alltag in den nächsten Jahren nachhaltig verändern. Was erwartet uns?
Anastassia Lauterbach: Meine neunjährige Tochter wird wohl zur letzten Generation gehören, die noch einen Führerschein macht. Ihr Auto wird aber schon viele selbstfahrende Fähigkeiten haben. Meine Enkel werden nur selbstfahrende Autos sehen. Mein Kind wird wahrscheinlich einen Teil seiner Prüfungen an der Uni vor einem System ablegen und nicht vor einem Menschen. Die Tochter wird Roboter als Kollegen haben und viel agiler mit Technologie umgehen als ich. Wenn sie zum Arzt geht, wird sie als Erstes mit einem Computer reden und erst nach dessen Einschätzung mit dem Doktor. SN: Verstehen Sie, dass diese Entwicklung vielen Menschen Angst macht? Ja, aber daran sind auch viele Berater schuld, die beim Thema künstliche Intelligenz übertreiben und gleich mit falschen Terminator-Vergleichen daherkommen. Die Sache ist: Man kann heute noch sehr vieles ändern und sehr viel beeinflussen. Ich habe Science-Fiction als Kind gehasst. Heute finde ich es spannend, mir bei diesen Zukunftsszenarien zu überlegen: Will ich diese Vision mitverwirklichen oder wäre das ein Albtraum? SN: Während Wahlforscher 2016 einen Sieg Hillary Clintons vorausgesagt hatten, prognostizierte die KI-Software MogIA einen Sieg Donald Trumps. Sind Algorithmen schon schlauer als wir? Nein, überhaupt nicht. Computer machen nur, was wir ihnen sagen. Hinter dem Design steht menschliche Intelligenz. Computer können verdammt viel. Aber zu sagen: Wir lagern jetzt unser Denken an sie aus, das funktioniert nicht. Roboter werden uns sicher in einigen Bereichen ersetzen, aber doch nicht überall. Es gibt bereits Algorithmen, die schon besser an der Börse handeln als Menschen. Es gibt seit Jahren Maschinen, die besser Schach spielen können als Menschen, aber sie können längst nicht das, was das menschliche Gehirn ausmacht. Multitasking etwa, oder Gefühle. SN: Werden Maschinen jemals Emotionen spüren? Das wird, wenn überhaupt, noch einige Zeit dauern. Vielleicht geht das in 50 Jahren, wenn es viel leistungsstärkere, universelle Quantencomputer gibt. Dann wird viel ermöglicht. SN: Viele Studien gehen davon aus, dass Roboter Millionen von Jobs kosten, andere Erhebungen sagen genau das Gegenteil. Was glauben Sie? Ich denke, es wird sich die Waage halten. Viele Arbeitsplätze werden neu dazukommen, viele werden aber auch ganz selbstverständlich ersetzt. Wenn Sie Lkw-Fahrer sind, dann haben Sie sehr schlechte Karten. Selbstfahrende Lkws zu bauen, das ist nicht schwierig. Aber wenn Sie jemand sind, der komplexere Fragen beantworten muss, dann haben Sie gute Aussichten. Es werden aber nicht nur nieder qualifizierte Arbeitsplätze verloren gehen, sondern auch hoch qualifizierte Jobs. Texte lesen und Muster erkennen: Das können Algorithmen schon heute viel effizienter als Menschen. SN: Sind die Menschen auf diesen Wandel vorbereitet? Nein, derzeit nicht. Das ist meine größte Sorge. Wir müssen unsere Bildungssysteme aus dem 19. Jahrhundert herausholen. Kinder sollten nicht länger nur das Was lernen. Das kann ich auch googeln. Sie müssen das Wie lernen: Fähigkeiten und nicht nur Materie. Davon sind wir superweit entfernt. Unternehmer sollten umdenken und eine stärkere Verbindung unterschiedlicher Disziplinen zulassen. Wenn sich nur Spezialisten eines Fachs etwas so Großes als Aufgabe nehmen, wird nichts Gutes dabei herauskommen. SN: China prescht beim Thema künstliche Intelligenz vor. Gerät Europa ins Hintertreffen? Ja, ganz klar. Derzeit haben die USA eine führende Rolle, aber wenn es so weitergeht, wird in zehn Jahren China die Nase vorn haben – und auch die Macht über die Daten haben. Das ist gefährlich. In China ist maschinelles Lernen bereits heute ein Pflichtfach ab der sechsten Klasse in jeder Schule. Um 1820 konnten nur 20 Prozent der Menschen lesen und schreiben. Ich glaube, dass die Quote der Technologieliteraten heute viel kleiner ist, dabei ist das eine ebenso wichtige Fähigkeit. Ich appelliere an alle jungen Menschen: Lernt programmieren. Das heißt nicht, dass alle Programmierer werden müssen. Genauso wenig, wie alle, die rechnen lernen, später Mathematiker werden. SN: Sie sitzen in mehreren Aufsichtsräten und sind dort vor allem von Männern umgeben. Ändert sich das? Ich hoffe schon. Je mehr Frauen um einen herum sitzen, umso besser wird das Ergebnis. Frauen, die heute in Aufsichtsräten sitzen, sind – Entschuldigung, aber ich muss das sagen – ganz einfach besser als Männer. Weil sie viel mehr durchmachen und härter arbeiten müssen. Wenn sie irgendwann oben angekommen sind, dann sind sie wirklich sagenhaft. Erst, wenn eine Frau, die eine richtige Flasche ist, einmal ganz oben landet, dann haben wir Gleichberechtigung erreicht. Anastassia Lauterbach war die ranghöchste Managerin bei der Deutschen Telekom. Heute sitzt die 46-Jährige in mehreren Aufsichtsräten, unter anderem bei Wirecard. In ihrem aktuellen Buch „The Artificial Intelligence Imperative“rät sie Unternehmen, eigene KI-Strategien zu entwickeln. Lauterbach war im Rahmen des Corporate Governance Forum des Salzburg Global Seminar auf Schloss Leopoldskron zu Gast.