Der Richter vom Bau
„Nein, besser nicht bei uns“, sagt Viktor Kreuschitz, Österreichs Richter beim Gericht der Europäischen Union, am Telefon. Die Sicherheitsvorkehrungen im roten Granitblock am Kirchberg, dem Klein Manhattan von Luxemburg, in dem der Europäische Gerichtshof (EuGH) und das EU-Gericht ihren Sitz haben, seien so streng, dass ihm ein Frühstück in der Altstadt lieber sei. An Möglichkeiten dafür mangelt es nicht. Zwischen Kathedrale, Rathaus, Paradeplatz und Grande Rue gibt es zahllose Cafés.
Kreuschitz, der 17 Jahre im juristischen Dienst der EUKommission gearbeitet hat, wohnt etwas außerhalb der Stadt in Kehlen. Er hat aber auch ein Domizil in der Nähe von Brüssel mit Garten – eines seiner Hobbys.
In Luxemburg sitzt nicht nur der EuGH, sondern auch der Europäische Rechnungshof, der europäische Rettungsfonds ESM und das Statistikamt. Das lässt, gemeinsam mit luxemburgischer Steuer- und Finanzmarktpolitik, die Wirtschaft schnurren. Vor 20 Jahren haben am Kirchberg noch Schafe gegrast, erinnert sich Kreuschitz. Jetzt steht dort ein Kran neben dem anderen und zieht weiter Glastürme hoch. „Wenn ich gefragt werde, was ich mache, sag ich immer, ich arbeite am Bau“, erzählt der eloquente 66-Jährige.
Das Gericht der EU ist eine Art kleine Schwester des EuGH und wurde 1989 gegründet, um diesen zu entlasten. Kreuschitz und seine mittlerweile 45 Kollegen kümmern sich um EU-Personalstreitigkeiten, Markenschutzfragen und um Einsprüche gegen EU-Wettbewerbsentscheidungen. Darunter fallen so spektakuläre Fälle wie die 4,3-Milliarden-Euro-Strafe gegen Google, die jeder Richter gern bearbeite.
„Ich bekomme nie so große Fälle“, sagt Kreuschitz mit einem leicht verschmitzten Lächeln. Dazu sei er zu aufmüpfig, vermutet er. Er hat sich schon öfter mit dem Apparat angelegt, zuletzt vor zwei Jahren, als das Gericht aufgestockt wurde und er das als Geldverschwendung gebrandmarkt hat.
Derzeit versucht der überzeugte Sozialdemokrat gemeinsam mit einigen Kollegen, die Übermacht der Franzosen, Belgier und Luxemburger im EU-Gericht zu brechen. Noch immer sei Französisch Arbeitssprache, obwohl 45 Prozent der anhängigen Fälle auf Englisch eingebracht werden und nur 15 Prozent auf Französisch (der Rest in allen anderen EU-Sprachen). Das sei „eine unglaubliche Geldverschwendung“und es schließe viele Mitarbeiter aus ost- und mitteleuropäischen Ländern aus – darunter exzellente junge Frauen –, die eben nur Englisch auf hohem Niveau beherrschen.
Der Wiener kann selbst in fünf Sprachen verhandeln, darunter in Kroatisch und Ungarisch, das er als Kind in der Familie mitbekommen und später perfektioniert hat.
Eine der wenigen Sprachen, die er verweigert, ist Flämisch, auch wenn sein Haus in Belgien im flämischen Teil des Landes steht. Kürzlich hat die Kommune, mit der er immer wieder kleine Scharmützel austrägt, den Umtausch seines Führerscheins in einen belgischen verlangt. Er schrieb zurück, eher würde er seinen Führerschein auf der Grand Place verbrennen, als das zu tun.