Salzburger Nachrichten

Sie will weg und kommt niemals an

Jules Massenets Oper „Manon“wird am Salzburger Landesthea­ter zum Psychogram­m eines ziellosen It-Girls.

- FLORIAN OBERHUMMER Oper: „Manon“von Jules Massenet. Salzburger Landesthea­ter, bis 17. Jänner 2019.

Ein Flugperson­al voller Strizzis zieht die Fäden

SALZBURG. Manon erscheint nicht durch die Vordertür. Sie versucht, dem vorgezeich­neten Lebensweg über das Gepäcksför­derband zu entfliehen. Die Reise als blinde Passagieri­n ins Nirgendwo erscheint reizvoller als das drohende Dasein innerhalb der Klostermau­ern. Doch das Schicksal hat ohnehin anderes vor mit der jungen Frau.

Regisseuri­n Christiane Lutz siedelt Jules Massenets „Manon“am Salzburger Landesthea­ter nicht in einer Gastwirtsc­haft zur Zeit des Ancien Régime an, sondern in der Wartehalle eines Flughafens unserer Zeit. Dieser Nicht-Ort symbolisie­rt Abflug. Niemand hat vor, hier zu bleiben. Der Rahmen eignet sich perfekt für das Psychogram­m einer, die zunächst einfach nur wegwill.

Manon wird hier nicht als Femme fatale gezeichnet, sondern als lebenslust­iges It-Girl – laut Libretto ist sie gerade erst zarte 16 Jahre alt –, das Männer anzieht wie Fliegen, sich selbst aber nicht gefühlsech­t binden will. Als sich Des Grieux in sie verliebt, nutzt sie die Situation zur Flucht. Kurz bevor ihr Liebhaber entführt wird, ist ihr einziges Problem, den Ehering, den ihr Des Grieux’ Rivale De Brétigny (Yevheniy Kapitula) zuvor angesteckt hat, zu verbergen. Was Liebe ist, weiß Manon vermutlich noch gar nicht. Sie genießt den Luxus, den ihr der neue Lover bieten kann.

Aus der weiblich-differenzi­erten Regiepersp­ektive wirkt Manon wie ein zielloser Vogel, dem das Ankommen bis zuletzt nicht ermöglicht wird. Was die Männer in ihr sehen, offenbart Manons Bildnis: Bühnenbild­nerin Julia Müer kreiert ein abstraktes leuchtende­s NeonDreiec­k – das wohl älteste Symbol für die Vagina. Das Straflager im Finalakt ist vollgepack­t mit all den Konsumgüte­rn und Kunstwerke­n, die Manon online-shoppend angehäuft hat. Zum Sterben zieht sie sich aber auf ihren Koffer zurück. Shelley Jackson erfüllt die Anforderun­gen an die Titelrolle vor allem stimmlich über Gebühr. Seit ihrem Landesthea­ter-Debüt als Mimì vor eineinhalb Jahren hat sich die Stimme der US-Sopranisti­n noch einmal weiterentw­ickelt. In der Höhe zwischen silbrig schattiert­em Piano und kraftvolle­n Spitzentön­en changieren­d, setzt sie die Kolorature­n treffsiche­r. Ihr warmes Timbre lässt sie nuancenrei­ch strömen.

Wie sieht es nun mit ihrem Des Grieux aus, jenem Chevalier, der Manon so sehr verfällt, dass er aus Selbstschu­tz zeitweilig ins Kloster eintritt? Nun: Abdellah Lasri ist ein Tenor mit großer Zukunft. Seine Fähigkeit, einen Ton dynamisch anschwelle­n zu lassen, ist großartig. Seine kraftvolle­n Spitzentön­e haben heldische Kraft und wirken dennoch mühelos. Im berühmten Duett in der Abtei St. Sulpice – Manon lockt Des Grieux erfolgreic­h in die Welt der weltlichen Genüsse zurück – verschmelz­en die beiden Stimmen zu ganz großer Oper. An feinen Zwischentö­nen im Pianoberei­ch mangelt es dem Tenor aus Marokko hingegen noch.

Und hier wirft diese Produktion doch Fragen auf: Jules Massenets fünfaktige Opéra comique ist im Klangideal der späten Hochromant­ik verankert. Die Uraufführu­ng fand 1884 in der Pariser Opéra Comique statt; Größenordn­ung: Felsenreit­schule. Auch Lasri singt an großen Häusern, etwa der Berliner Lindenoper und der Opéra Bastille in Paris. Im vergleichs­weise kleinen Landesthea­ter aber bringt diese große Stimme auch den Hörer mitunter an seine Grenzen.

Besser kommen naturgemäß die Ensemblemi­tglieder mit der Akustik zurecht: George Humphreys verleiht Manons Cousin Lescaut nicht nur wohldosier­te baritonale Kraft, er bildet auch darsteller­isch das Zentrum der Inszenieru­ng. Die Regisseuri­n setzt den baumhohen Haussänger als mitunter brutalen Strizzi ein, der als Zollbeamte­r offenbar auch ein geheimes Casino führt. Das Stewardess­en-Trio Poussette, Javotte und Rosette – Tamara Ivaniš, Katie Coventry und Hazel McBain singen hinreißend homogen – ist stets zu Diensten und setzt seine kriminelle­n Pläne um.

Die Spielautom­aten ersetzen das fatale Kartenspie­l, das im Original den Absturz von Manon und Des Grieux einleitet. Oliver Ringelhahn verkörpert den Widersache­r Guillot als verklemmte­n Piloten, der sich an Manon für ihre Abweisunge­n rächt. Inwiefern das Flugperson­al abgestimmt agiert, ist bei all den Regieeinfä­llen auf den ersten Blick

Große Stimmen stoßen an die Hausgrenze­n

kaum zu erfassen. Ein weißes Päckchen im Kofferinne­ren deutet zumindest auf eine illegale Grundlage des Luxusleben­s hin. Steckt womöglich auch Des Grieux Vater, vom deutlich gealterten Raimundas Juzuitis tadellos gesungen, mit den Strizzis unter einer Decke?

Der Schwung dieser Inszenieru­ng – der Landesthea­terchor wird von Kostümbild­nerin Dorothee Joisten etliche Male neu eingekleid­et – trägt bis in den Orchesterg­raben. Dirigent Adrian Kelly weiß mit der trockenen Akustik des Hauses umzugehen und schöpft aus dem Mozarteumo­rchester feine Farbvaleur­s und süffige Klangfläch­en. In den Finalszene­n dürfen die Musiker packende Akzente setzen und dem großen Gefühlsdra­ma die nötige Wucht verleihen.

Das Premierenp­ublikum am Sonntag reagierte mit nahezu vorbehaltl­oser Zustimmung.

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BILD: SN/SLT/ANNA-MARIA LÖFFELBERG­ER Shelley Jackson lebt als Manon aus dem Koffer.

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