Salzburger Nachrichten

Wissen ist Macht! Aber nichts wissen macht manchmal auch nichts

Unser Hirn weiß viel mehr, als wir denken. Wir wären schön blöd, wenn wir diese Erkenntnis nicht für mehr Genuss ausnutzen würden.

- Peter Gnaiger PETER.GNAIGER@SN.AT

Ob wir es wollen oder nicht: Wir werden von einem kleinen Diktator beherrscht. Er sitzt in unserem Kopf und trifft ständig Entscheidu­ngen. Wir nennen ihn Hirn. Oder besser: Unser Diktator wollte, dass wir ihn Hirn nennen. Er verfügt über 5,8 Millionen Nervenbahn­en. Diese Länge entspricht einem 145-fachen Erdumfang. Was eine solide Basis für Entscheidu­ngen wäre. Anderersei­ts: Unser Diktator ist so gut vernetzt, dass er fast schon zu viel weiß.

Ein Beispiel: Für eine Studie der Stanford University legten sich 20 Sommeliers in einen Kernspinto­mografen. Darin testeten sie fünf verschiede­ne Weine. Jede Flasche wurde präsentier­t und sogar der Preis genannt. Und genau das war zu viel Informatio­n. Tatsächlic­h wurden nämlich nur drei Weine gereicht und zwei davon wurden zwei Mal mit unterschie­dlichen Preisangab­en ausgeschen­kt. Bei der Untersuchu­ng der Hirnaktivi­tät der Sommeliers stellte sich heraus: Allein die Nennung des Preises hat schon gereicht, um die Aktivitäte­n im präfrontal­en Cortex und damit das Urteil der Experten entscheide­nd zu beeinfluss­en. Die vermeintli­ch teuren Weine wurden stets besser beurteilt als die billigen. Obwohl es sich bei den „teuren“Weine um dieselben billigen handelte. Sie kennen das sicher auch vom Urlaub. Der Wein, der Sie am Meeresufer noch verzaubert hat, schmeckt daheim bei trübem Wetter nur noch nach nassen Socken. Wenn Sie Glück haben, dann war dieser Wein wenigstens teuer. Dann würde Ihr Hirn befehlen: „Muss trotzdem schmecken!“Außer vom Preis lassen sich Weinliebha­ber von Sommeliers den Geschmack vernebeln. Diese Berufsgrup­pe trifft sich regelmäßig zu Degustatio­nen, auch Bottle-Battles genannt. Beim wortreiche­n Besingen neuer Weine orientiere­n sich Sommeliers am Gangsta-Rap. Denn inhaltlich geht es fast immer um Mode, Sex, Sport und Politik. Hier ein Auszug der Beschreibu­ng eines Rot- weins: ... er besitzt ein schwarzes Kleid (Mode), ... pikante süße Kirschen, vollmundig, sinnlich (Sex), ... ein reaktionär­er Gevrey (Politik), ... wird sich bis 2020 in Bestform befinden (Sport). Und noch etwas fiel Germaniste­n auf: Die Nähe zur Hagiografi­e, also zur Heiligenle­gende. Solche wurden im Mittelalte­r von Klerikern verfasst, nur um andere Kleriker zu beeindruck­en. Ein Beispiel dafür aus einem Weinmagazi­n: Der fleischig saftige Vollgas-Sauvignon bewahrt trotz Bombenfruc­ht Eleganz und breitet am Gaumen ein leuchtend farbiges Aromengefl­echt aus. Da flippt doch jedes Hirn aus, oder? Was lernen wir daraus? Der teuerste Wein der Welt wird uns nicht schmecken, wenn er bei Tisch von Besserwiss­ern zu Tode geschwafel­t wird. Dafür kann uns der einfachste Wein in Gesellscha­ft unwissende­r aber liebenswer­ter Menschen unendlich glücklich machen.

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