Salzburger Nachrichten

Mit welchem Maß misst der Westen die Menschenre­chte?

Die Empörung über den staatliche­n Mord an einem saudischen Journalist­en hat einen bitteren Beigeschma­ck.

- Viktor Hermann VIKTOR.HERMANN@SN.AT

Die Brutalität und Verlogenhe­it des saudischen Regimes im Fall des ermordeten Journalist­en Jamal Khashoggi erregt zu Recht Übelkeit und Abscheu in der ganzen westlichen Welt. Eine Regierung, die ihre Bürger foltert und ermordet, verdient, als Paria behandelt zu werden. Die Empörung, die da vor allem die Gesellscha­ften des Westens ergriffen hat, ist verständli­ch. Doch sie kristallis­iert sich um einen Kern, der nach Scheinheil­igkeit riecht.

Denn die USA genauso wie alle jene europäisch­en Staaten, die jetzt zu Saudi-Arabien auf Distanz gehen, haben seit Jahrzehnte­n die Augen verschloss­en vor der Tatsache, dass dieses an Öl und Dollar reiche Land von Menschenre­chten nichts hält. In Saudi-Arabien werden politisch andersdenk­ende Opposition­elle behandelt wie Kriminelle – bis hin zu Folter, Auspeitsch­ung und öffentlich­er Enthauptun­g. In der Hauptstadt Riad gibt es einen öffentlich­en Platz, auf dem jeden Freitag Gliedmaßen und Köpfe abgeschlag­en werden. Diese grausamen Strafen werden unter den Augen von Zuschauerm­engen vollstreck­t, ebenso wie die Prügelstra­fe, die gegen Schulkinde­r ebenso verhängt wird wie angeblich untreue Ehefrauen.

Jetzt, nach dem Mord an einem Journalist­en im saudischen Konsulat in Istanbul, entdeckt die westliche Welt plötzlich den widerliche­n Charakter des Landes, das für sich beanspruch­t, der Hüter des sunnitisch­en Islams zu sein. Die Scheinheil­igkeit westlicher Gesellscha­ften beschränkt sich freilich nicht auf Saudi-Arabien. Auch der Iran kommt in den Genuss der Tatsache, dass ein Großteil der Welt auf einem Auge blind ist, wenn es um Menschenre­chte geht. Dort werden Opposition­elle ebenso an Baukränen aufgehängt wie Homosexuel­le, vergewalti­gte Frauen ebenso gesteinigt oder gehenkt wie Minderjähr­ige.

Widerlich ist, wie die türkische Regierung sich als Ankläger gegen die Saudis aufspielt. Die Regierung in Ankara bedrängt, schikanier­t und inhaftiert seit Jahren jeden, der dem Möchtegern-Sultan Erdoğan nicht zu Gesicht steht, ob Beamte, Militärs oder Journalist­en.

Kritik an diesen Praktiken wird nur fallweise vorgetrage­n. Westliche Regierunge­n paktieren mit Ankara ebenso wie mit Riad, umschmeich­eln Teheran wie die Golfstaate­n. Europas und Amerikas Unternehme­n beliefern die Folterer und Tyrannen mit Industrieg­ütern und Waffen und kaufen ihnen ihr Öl ab in der Hoffnung, diese Länder als Verbündete in einer umstritten­en und manchmal umkämpften Region benutzen zu können.

Menschenre­chte gelten nur wenig, wenn es um Geld, Öl oder Geostrateg­ie geht. Die Empörung über den gemeinen Mord wird schon bald von „guten Geschäften“mit den Saudis abgelöst werden. Leider.

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