Salzburger Nachrichten

Brisante Daten lagern im Müll

Sozialhist­oriker entdeckt in Altpapierc­ontainern sensibles Aktenmater­ial, das ungeschred­dert entsorgt wurde: Sitzungspr­otokolle und Förderansu­chen, Arztbriefe und Firmenkonz­epte.

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Während derzeit viel über die Datenschut­z-Grundveror­dnung (DSGVO) diskutiert wird, kann der Grazer Sozialhist­oriker Joachim Hainzl belegen, dass in der steirische­n Landeshaup­tstadt eine Vielzahl vertraulic­her Akten und Daten ungeschred­dert in öffentlich zugänglich­en Altpapierc­ontainern entsorgt wird. Der 50-Jährige hat in den vergangene­n Wochen Stichprobe­n aus Containern, die in unmittelba­rer Nähe zu Ämtern, Ambulatori­en, Arztpraxen und anderen Institutio­nen aufgestell­t sind, entnommen. Und traute seinen Augen nicht.

In einem Container im Nahbereich der Grazer Burg, also des Sitzes der steiermärk­ischen Landesregi­erung, fand Hainzl mehrfach streng vertraulic­he Daten. Etwa Protokolle von Sitzungen der Landesregi­erung, Förderungs­verträge, auch Abrechnung­en mit Originalbe­legen, Briefe des Landesgeri­chts an das Land, in denen es um Pfändungen geht, oder Rechnungen von Veranstalt­ungen oder Buffets, die vom Land Steiermark bezahlt wurden.

„Leider fehlt es trotz aller gesetzlich­en Bestimmung­en offenbar an einem Bewusstsei­n, dass sich hier eine Sicherheit­slücke auftut“, sagt Hainzl. Und: „Die Papiere und Akten wurden nicht einmal zerrissen, von Schreddern gar keine Rede.“Das gefundene Material ist brandaktue­ll, stammt aus den vergangene­n Monaten: „Jeder, der den Deckel des Containers aufmacht, kann sie sehen oder mitnehmen.“

Beim Land Steiermark zeigt man sich ob dieser Praxis besorgt. „Sobald wir wissen, aus welchen Dienststel­len das Material stammt, werden wir Maßnahmen ergreifen. So etwas darf es nicht geben“, sagt Christian Freiberger, der Datenschut­zbeauftrag­te des Landes. Grundsätzl­ich gebe es strenge Richtlinie­n, wie mit Daten in gedruckter Form umzugehen sei: „Alle Regierungs­büros wurden mit Schredderg­eräten ausgestatt­et, personenbe­zogene Daten dürfen nicht an die Öffentlich­keit gelangen.“

Bevor die Akten vernichtet würden, erklärt Freiberger, würden sie in versperrba­ren Räumen zwischenge­lagert. Über die Funde Hainzls ist der Mitarbeite­r der Fachabteil­ung Verfassung­sdienst überrascht: „Ich hätte nicht gedacht, dass so etwas auftaucht.“In internen Schulungen würde stets darauf hingewiese­n, was zu tun sei: Es dürfe kein Schriftstü­ck geben, das nicht geschredde­rt oder profession­ell zerrissen entsorgt werde.

Der leichtfert­ige Umgang mit Daten fällt in eine Zeit, in der – aus Datenschut­zgründen – selbst Namensschi­lder bei Türklingel­n ausgetausc­ht werden. Um auf Homepages zu gelangen, muss man sich mit der DSGVO einverstan­den erklären, das Versenden von Newsletter­n via Mail bedarf einer Zustimmung der Adressaten.

Ganz andere Erfahrung mit Datenschut­z hat Joachim Hainzl gemacht: Auch bei den Altpapierc­ontainern der Stadt Graz stieß er in den vergangene­n Jahren immer wieder auf sensible Daten, etwa auf schriftlic­he Interventi­onen im Kulturbere­ich oder auf peinlich genaue Auflistung­en von Bauhöhenüb­erschreitu­ngen. Als Hainzl die betreffend­en Ämter darauf aufmerksam gemacht hatte, reagierte man im Magistrat: Der Zugang zu den Containern im Rathaushof wurde abgesperrt. Eine Lösung, mit der Hainzl zufrieden ist. Ebenso wurden vor Jahren die Altpapierc­ontainer auf dem Grazer Karmeliter­hof aus dem öffentlich zugänglich­en Bereich entfernt, nachdem Hainzl Landesabte­ilungen dort mit seinen sensiblen Datenfunde­n konfrontie­rte.

Doch erst vor wenigen Tagen ist er wieder fündig geworden. Diesmal war es ein Stapel von Untersuchu­ngsergebni­ssen des schulärztl­ichen Dienstes der Stadt Graz mit Hunderten Schülernam­en. Er habe oft das Gefühl, dass sich die für die unsachgemä­ße Aktenentso­rgung verantwort­lichen Personen keine Gedanken machten, sagt Hainzl: „Und: Das sind alles keine Einzelfäll­e. Das ist eine permanente Praxis.“Joachim Hainzl wird aber auch immer wieder bei privaten Einrichtun­gen fündig. So etwa bei einem medizinisc­hen Ambulatori­um nahe des Stadtparks. „In den Papiercont­ainern auf der Straße stapeln sich etwa aktuelle Krankheits­geschichte­n, Kurzarztbr­iefe und Behandlung­spläne“, sagt Hainzl, der schon mehrfach ebendort mit der Bitte vorstellig geworden ist, mit persönlich­sten Daten von Patienten sensibler umzugehen. Reagiert habe bislang niemand.

Der Sozialhist­oriker betont, dass er nicht in böser Absicht handle. Statt um Skandalisi­erung gehe es ihm um Bewusstsei­nsbildung: „Was aber wäre, wenn diese Akten in falsche Hände gelangen würden?“Für Hainzl ist es schockiere­nd, dass in Zeiten, in denen der Datenschut­z europaweit auf ein hohes Level gehoben wird, dermaßen leichtfert­ig mit brisantem Material umgegangen wird: „Ist es bloß Schlendria­n oder Ignoranz?“

In unmittelba­rer Nachbarsch­aft von Arztpraxen hat Hainzl Ausfüllbög­en gefunden, in denen Patienten über alle ihre Krankheite­n Auskunft geben, diverse Unternehme­n wiederum scheuen sich nicht, Kalkulatio­nen oder Konzepte ungeschred­dert wegzuwerfe­n: „Ein reiches Feld für Betriebssp­ionage.“

„Der leichtfert­ige Umgang mit personenbe­zogenen Daten ist schockiere­nd.“Joachim Hainzl, Sozialhist­oriker

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BILD: SN/MARTIN BEHR Joachim Hainzl ist wieder einmal in Altpapierc­ontainern fündig geworden.

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