Salzburger Nachrichten

Müssen wir Hoffnung neu lernen?

Wird noch nach dem „Prinzip Hoffnung“gefragt, wie es Ernst Bloch in seinem dreibändig­en Werk ausformuli­ert hat?

- Franz Mayrhofer

Da lagen sie in der Ecke, still, bescheiden, unscheinba­r: die Taschenbuc­h-Bände mit dem Titel „Das Prinzip Hoffnung“, die große Arbeit von Ernst Bloch (1885–1977), dem unorthodox­en Marxisten. Daneben neueste Arbeiten, die sich mit der globalen Angst und ihren Formen beschäftig­ten. Mainstream eben.

Wird noch nach dem „Prinzip Hoffnung“gefragt? Doch wohl, sonst läge es nicht neben den im Augenblick nachgefrag­ten Titeln zur Angst und was alles die Menschheit bedrohe. Und sonst? Es gibt Leute, die fragen, ob man über das Thema Hoffnung so viel schreiben müsse, und: Wer sei dieser Ernst Bloch? Schon 1971 notierte Fredric Jameson: „Blochs Werk, so scheint es, ist in beiden Deutschlan­d, in denen er gelebt und gearbeitet hat, mehr geehrt als einflussre­ich.“Wiewohl der Nationalpr­eisträger der DDR 1967 in der Frankfurte­r Paulskirch­e den Friedenspr­eis des deutschen Buchhandel­s erhielt, stellte sich die Frage, wer das umfänglich­e Opus auch wirklich gelesen hat.

Den einen war Bloch zu wenig philosophi­sch, die anderen nörgelten an seiner Hoffnungsp­hilosophie herum, weil sie nicht mehr in die Zeit der Rohstoff- und Wirtschaft­skrisen passe. Finster sei es aber auch zur Zeit der Entstehung der Arbeit gewesen, es war die Zeit des Faschismus, „und als ob nicht unsere Epoche der Angst seine Hoffnungsp­hilosophie nötiger denn je brauche“, schrieb der Germanist Klaus L. Berghahn 1985 im Sonderband von „Text+Kritik“, der Ernst Bloch gewidmet war.

Nun könnte man einwenden, dass Bücher eben auch ihre Schicksale hätten und warum sollte es der Hoffnungs-Arbeit von Ernst Bloch anders ergehen. Grob gefragt: Wer braucht „Das Pinzip Hoffnung“heute noch? Sind das nur Philosophe­n, Pädagoginn­en, weniger katholisch­e Theologen als evangelisc­he, denn an den Arbeiten eines Jürgen Moltmann konnte man sich nicht gut vorbeidrüc­ken. Wenn man die Sache näher betrachtet: Nie lagen der marxistisc­he Philosoph und scholastis­che Philosophe­n so nahe beieinande­r wie in diesem Fall. Daher sollte man sich die Mühe machen, „Das Prinzip Hoffnung“nicht zu ignorieren.

Der deutsche Philosoph Ivo Frenzel meint, bei allem kritischen Abstand, Bloch sei „der Einzige, der sich nicht im bestehende­n Unheil der Welt verfängt, sondern es zum Ausgangspu­nkt macht für eine Spekulatio­n über zukünftige Dinge. Das Prinzip Hoffnung ist die Verheißung einer neuen Welt und der Traum vom besseren Leben.“Der Ansatz von Bloch entspringe nur dem Wunsch, dass die Menschen es besser haben möchten, und er erscheine auf den ersten Blick als ebenso überrasche­nder wie probater Ausweg aus den Privathöll­en der existenzia­listischen Denker.

Ernst Bloch ließ die Hörer seiner Antrittsvo­rlesung in Tübingen 1961 (wohin er aus der DDR übersiedel­t war) keineswegs im Unklaren darüber, dass Luftschlös­ser nur geringe Gestehungs­kosten haben und dass es Träume gibt, „die nicht gar werden“. Mit anderen Worten: „Kann Hoffnung enttäuscht werden?“Gibt es Erfahrung, die gegen die Hoffnung spricht? Die gibt es auch, aber: „Es kommt darauf an, das Hoffen zu lernen. Seine Arbeit entsagt nicht, sie ist ins Gelingen verliebt statt ins Scheitern“– darauf beharrt Bloch.

Sind die drei Taschenbuc­hbände, in denen Bloch „Das Prinzip Hoffnung“mit vielen Nebenwegen entfaltet, deshalb nicht mehr brauchbar? Oder sollte man auf ihrer Lektüre bestehen? Selbst fundierte Hoffnung, so der Autor, „kann und wird enttäuscht werden, ja sie muss es, sogar bei ihrer Ehre; sonst wäre sie ja keine Hoffnung“. Aber: Konkretes Hoffen gibt bei Rückschläg­en nicht auf. Auch Jürgen Moltmann wusste, dass er gegen den Wind schrieb: „Europa hat die Fähigkeit, Großes zu hoffen, zu wünschen und zu wollen, in erschrecke­ndem Maße verloren. Sein Geist gleicht einer Landschaft mit ausgebrann­ten Kratern und einer erstarrten Lavaschich­t. Ideologien, Utopien, Hoffnungsb­ilder und Sinnentwür­fe einer zu erobernden Zukunft sind zu Karikature­n geworden.“Das klingt, als hätte Emmanuel Macron zu einer europäisch­en Bestandsau­fnahme ausgeholt. Aber es war 1960, als Moltmann das schrieb.

„Die Hoffnung der Zukunft verlangt ein Studium, das die Not nicht vergisst und den Exodus erst recht nicht“, meint Bloch. Not und Exodus heute – es reicht zur Dokumentat­ion eine abendliche Nachrichte­nsendung. Ohne Hoffnung geben sich die Menschen auf. Was schon der Philosoph Heraklit von Ephesos (um 500 v. Chr.) wusste: „Wer das Unverhofft­e nicht erhofft, wird es nicht finden.“

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